Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

06.11.2000   12:05   +Feedback

Saufen gegen Rechts

Eine Alternative zum Aufstand der Anständigen

Am 11. November fängt im Rheinland, wie jedes Jahr, die närrische Saison an. Und wieder blicken Berliner Karnevalsfreunde neidisch nach Köln, Mainz und Plettenberg. Doch mischt sich der Neid mit einer Portion Schadenfreude. Denn heuer sind die Berliner Narren und Närrinnen eher dran als die rheinischen Jecken. Sie gehen schon am 9. November, dem deutschen Schicksalstag, auf die Straße, um unter dem lustigen Motto “Wir stehen auf für Menschlichkeit und Toleranz” gegen die neuen und alten Nazis zu demonstrieren. Das allein wäre, wie die Lichterketten Anfang der 9oer Jahre, noch keine schlechte Idee, wenn es diesmal nicht die Parteien und die Regierung wären, die das Volk auf die Straße jagen würden, die selben Parteien und die selbe Regierung, die für die Zustände verantwortlich sind, gegen die das Volk nun aufstehen und demonstrieren soll. Genau genommen, rufen die Parteien und die Regierung das Volk zu einer Demo gegen sie selber auf, getreu der Parole: “If you can’t Saufen gegen Rechts!

beat them - lead them!” So etwas hat es in der Geschichte der Bundesrepublik noch nicht gegeben, Brechts ironisch gemeinter Vorschlag, die Regierung sollte das Volk auflösen und sich ein anderes wählen, könnte als nächstes realisiert werden.

Das also ist der “Aufstand der Anständigen”, zu dem Bundeskanzler Schröder vor ein paar Wochen mangels eigener Ideen aufgerufen hat. Und so wie freiwillige Schülerlotsen gelegentlich die Arbeit von Verkehrspolizisten übernehmen und damit den Polizeiapparat entlasten, sollen nun die anständigen Bürger gegen die unanständigen mobilisiert werden, um die staatlichen Agenturen zu entlasten. Das ganze Land eine große Bürgerinitiative, das ganze Volk eine Einheitsfront. Ich sehe keine Deutschen mehr, nur noch Antifaschisten. Das Neue Deutschland und die Bildzeitung trommeln gemeinsam. Die Arbeitgeber und die Arbeitnehmer rufen die Betriebe auf, ihren Mitarbeitern frei zu geben, damit sie an der Demo teilnehmen können. Woran erinnert uns das? Richtig, auch in der DDR hat man die Werktätigen zu den Massenkundgebungen gekarrt und anschließend mit den Teilnehmerzahlen geprotzt. Doch diesmal kommt es nicht nur auf Masse, sondern auch auf Klasse an. Deswegen unterstützen immer mehr “Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens” den Auflauf der Anständigen. Darunter sind der Ex-Nazi Ingo Hasselbach, der sich nun gegen die rechte Szene mit der selben Heftigkeit wendet, mit der er sie früher anführte, und der Schriftsteller Stefan Heym, der soeben gefordert hat, den Rechtsextremismus “mit diktatorischen Mitteln” zu unterdrücken. Heym hat bald nach der Wende erklärt, die DDR sei daran zugrunde gegangen, dass die damalige Staats- und Parteiführung seine Vorschläge ignoriert habe. Nun hat er wieder eine prima Idee - eine Diktatur gegen rechts. Und wenn er wieder nicht gehört wird, könnten die Folgen noch schrecklicher sein. Natürlich sind es nicht nur schicke Renegaten und chronische Wichtigtuer, die jetzt “für Menschlichkeit und Toleranz” auf die Straße gehen, sondern auch ganz normale Menschen, die sich vor dem Nazipack ekeln und keine andere Möglichkeit haben, ihren Widerwillen zu artikulieren. Diese Menschen muss man ernst nehmen, man muss ihnen aber auch sagen, dass sie verarscht werden und sich verarschen lassen. Es geht nicht um “Menschlichkeit und Toleranz”, also Friede, Freude, Eierkuchen, es geht um Recht und Ordnung und den mangelnden Willen oder die Unfähigkeit der staatlichen Instanzen, diese durchzusetzen. Wo Polizei und Justiz flächendeckend versagen und seit Jahren die Existenz “national befreiter Zonen” tolerieren, wird auch ein Aufstand der Anständigen nicht viel helfen. Gegen die Rechten zu demonstrieren ist wohlfeil, wie wäre es mit einer Demo gegen das skandalöse Zusammenspiel von Polizei und Justiz? Da wird die Wirtin eines Berliner Lokals von zwei Räubern so zusammengeschlagen, dass sie für den Rest ihres Lebens eine Vollinvalidin bleibt. Vor dem Lokal stehen nicht weniger als 17 Polizisten und greifen nicht ein. Das zuständige Amtsgericht lehnt die Eröffnung eines Verfahrens wegen “Körperverletzung im Amt” mit der Begründung ab, die Polizisten seien teilweise unerfahren und lediglich normal ausgerüstet gewesen. - Ja, die beiden Räuber waren zu zweit und die 17 Polizisten ganz allein und hatten weder Maschinengewehre noch Handgranaten bei sich. Und außerdem waren sie auf “Eigensicherung” bedacht. Da fragt man sich:Wozu wird einer Polizist? Um bei den “Village People” im YMCA mitzusingen? Oder wegen der Rente?

Andersrum klappt alles viel besser. Drei Berliner Bürger, die einen massiven Polizeieinsatz gegen eine osteuropäische Straßenmusikantin in einem Brief an die Polizeidirektion kritisiert hatten, bekamen daraufhin Strafbefehle über jeweils 9oo,- Mark - wegen Beleidigung der Polizei.

Ja, so sensibel können die Freunde und Helfer sein, wenn es um sie selber geht. Und so engagiert die Justiz.

Das sollten die Demonstranten wissen, bevor sie am 9. November aufstehen und losmarschieren. Wahre Antifaschisten sitzen und trinken. Die Initiative heißt “Saufen gegen Rechts”, wird von rund 1ooo Berliner Kneipen gefördert und ist eine echte Alternative zum Aufstand der Anständigen. Denn das Kampftrinken ist, ebenso wie die Menschlichkeit, eine viel zu ernste Sache, als dass man sie den Rechten überlassen könnte.

6.11.2000

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