Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

18.04.2002   13:03   +Feedback

Asbach Uralt im Club von Berlin

Zwei Fragen sind es, die seit jeher im deutschen Raum stehen und einer Antwort harren: “Wie weit kommen wir bei der nächsten Fußball-WM?” und “Wer ist Jude?”

Auf die erste Frage hat Rudi Völler, der Trainer der deutschen Nationalmannschaft, vor kurzem ein Gefühl kundgetan. “Ich habe Bammel vor der WM!” Angesichts solcher Angstgegner wie Kamerun und Saudi-Arabien, gegen die Völlers Jungs antreten müssen, war dies nicht nur eine ehrliche, sondern auch eine vernünftige Einschätzung der Lage.

Schwieriger wird es, eine Antwort auf die zweite Frage zu finden, obwohl schon viele Versuche unternommen wurden, sie definitiv und verbindlich zu beantworten. Ende April wird die endlose Versuchsreihe fortgesetzt, diesmal im feinen “Club von Berlin”, wo vor kurzem das “Deutsch-Jüdische Forum” eingerichtet wurde. Bei der Eröffnungsveranstaltung trat Rafael Seligmann auf und diskutierte mit sich selbst.

Mal stellte er als Jude eine Frage, die er als Deutscher beantwortete, dann fragte er als Deutscher und gab eine Antwort als Jude. Nach Ansicht der Besucher war es ein sehr gelungener Abend, der die ganze Ambivalenz der deutsch-jüdischen Symbiose klar machte: Das ist die Transzendenz der Krise, mal hab ich sie, mal ham Sie se!

Bei der Diskussion am 28. April (Unkostenbeitrag 1o,- Euro, dafür gibt es im Restaurant der jüdischen Gemeinde schon eine Portion gefillten Fisch) soll das Thema erweitert und vertieft werden. “Wer ist Jude, wer ist Deutscher?” Auch diese Frage ist nicht ganz neu, zuletzt wurde sie am 15. September 1935 mit dem “Blutschutzgesetz” und dem “Reichsbürgergesetz”, die man als die “Nürnberger Gesetze” bezeichnet, umfassend beantwortet. Statt nun einen Blick in diese beiden Paragrafenwerke zu werfen, haben die Veranstalter zwei kompetente Herren eingeladen, die miteinander und gegeneinander antreten sollen, wie zwei Gladiatoren in einer römischen Arena zum Gaudi der Zuschauer: Cem Özdemir, grüner Politiker, und Andreas Nachama, ordinierter Rabbiner.

Es sind, so steht’s in der Einladung, “zwei Deutsche, denen sich die Frage ihrer Identität häufiger stellt, da sie auch einer Minderheit zugerechnet werden”, was an den Witz von dem Wiener Ehepaar erinnert, das über die Kärntner Straße geht, einen Afrikaner sieht und “Oaa Neeeger!”, ruft, worauf der Afrikaner sich umdreht und schreit: “Zwoaa Weaaaner!”

Die Frage der Identität “stellt sich” nur deswegen, weil sie gestellt wird, von Deutschen, die keiner Minderheit zugerechnet werden und deswegen immerzu wissen wollen, wie es sich denn so als Minderheit in Deutschland lebt. Damit die Antwort nicht allzu gruselig ausfällt, hat man keinen Vietnamesen aus Rostock und keinen Angolaner aus Guben eingeladen, die einiges erzählen könnten, sondern einen Abgeordneten des Bundestages und einen promovierten Historiker, die wahrscheinlich am meisten darunter leiden, daß sie von der Lufthansa nicht automatisch ein Upgrade für die Business Class bekommen, wenn sie ihre Miles&More-Karten vorlegen. Sie “werden uns die rechtlichen bzw. theologischen Voraussetzungen von Identitäten als Jude und Deutscher mitteilen und darüber hinaus von ihrer gelebten Erfahrung über ihre spannungsreichen Identitäten berichten”.

Das wird ein aufregender Abend werden. Vor allem, wenn die “rechtlichen Voraussetzungen” des Judeseins besprochen werden (“Volljude oder Halbjude?”) oder die “theologischen Voraussetzungen” der deutschen Identität (“Gott mit uns!”); hinterher, beim gemütlichen Zusammensein mit koscheren Plätzchen und Asbach Uralt, werden dann “gelebte Erfahrungen” ausgetauscht werden: Wie Cem Özdemir in einem Multikulti-Projekt lernte, Spätzle zu kochen und wie Andreas Nachama beinah durchs Abitur gerasselt wäre, weil er zur mündlichen Prüfung am Samstag nicht antreten wollte.

Am Ende wird auch klar sein: “Wer ist Jude, wer ist Deutscher?”

Deutscher ist, wer Juden vorführt. Jude ist, wer sich vorführen läßt.

Es kann auch ein Türke sein.

HMB, 18.4.2oo2

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