Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

24.02.2002   12:03   +Feedback

Der Bahnstreckenwärter

Ein Interview der “Welt” anläßlich des neuen Broder-Buchs “Kein Krieg, nirgends: Die Deutschen und der Terror”.

Es ist nicht leicht, Henryk M. Broder im Caféhaus zu interviewen. Immer wieder klingelt sein Handy, zwischendurch servieren Kellnerinnen Gulasch, und Leute kommen herein, die den berühmtesten Polemiker unter Deutschlands Journalisten kennen und schief lächelnd begrüßen. Auf dem Caféhaustisch liegt Broders neues Buch. Das Cover zeigt die Freiheitsstatue, aber auch die deutschen Nationalfarben Schwarz-Rot-Gold sind deutlich zu erkennen. Irgendwann schaltet Hannes Stein das Aufnahmegerät ein und stellt seine erste Frage.

DIE WELT: Wie kamen Sie dazu, Ihr neues Buch zu schreiben?

Henryk M. Broder: Nach den Anschlägen vom 11. September entfielen 80 Prozent meiner sozialen Kontakte schlagartig. Ich hatte viel Zeit, und plötzlich hörte ich von besten Freunden Sätze wie: “Ruanda war schlimmer” oder “Warum regen wir uns nicht darüber auf, dass im Irak Kinder sterben?”. Meine Kommunikation beschränkte sich auf mehrere tägliche Telefonate mit meinem Freund Reinhard Mohr und mit meiner Familie. Und irgendwann habe ich beschlossen, das zu sammeln, was ich täglich las, sah und hörte. So ist diese kleine Chronik des laufenden Horrors entstanden.

DIE WELT: Von Günter Wallraff gibt es den poetischen Satz: “Ich muss nicht durch jedes Klosett schwimmen, um zu wissen, was Scheiße ist.” Was treibt Sie an, sich so tief mit dem Schmutz Ihrer Epoche einzulassen?

Broder: Zugegeben, ich habe einen Defekt. Ich kann nicht anders. Diese geballte Ladung aus Dummheit, Bosheit, Anmaßung, Ignoranz, Koketterie und Realitätsverweigerung mitzukriegen und nichts zu sagen, hätte mich mehr Überwindung gekostet, als mich über sie auszutoben. Ich bin ein Bahnstreckenwärter, der die Gleise auf- und abgeht und schaut, was aus dem Zug gefallen ist. Das ist eine ästhetisch nicht immer anmutige Tätigkeit, aber es kommt was dabei raus.

DIE WELT: Ist denn jeder Zweifel an Amerika verboten?

Broder: Nein, natürlich nicht, aber was mir auffällt, sind Sätze, die mit den Worten “Gerade wir als Deutsche” anfangen. Was soll das heißen? Wir mit unserer wunderbaren Erfahrung? Erst haben wir in ein paar Jahren 50 Millionen Tote produziert, und das qualifiziert uns jetzt als Moralhüter und Bewährungshelfer für alle Notlagen? Wenn ich “Gerade wir als Deutsche” höre, geht bei mir die Sicherung der Kalaschnikow von alleine auf. “Gerade wir als Deutsche.” Gerade ich als Übergewichtiger! Heuschnupfen habe ich übrigens auch. Ich frage mich, wozu mich das qualifiziert - wahrscheinlich dazu, den deutschen Wirklichkeitsallergikern Ratschläge zu geben, wie sie mit der Realität umgehen sollen.

DIE WELT: Und wie ist es mit Kritik an Israel? Ist die erlaubt?

Broder: Selbstverständlich. Ich halte Ariel Scharon für den Kapitän der “Bounty”, dem leider kein Erster Offizier Fletcher Christian entgegentritt.

DIE WELT: In Ihrem Buch werden viele Leute mit zum Teil unglaublichen Äußerungen zitiert. Ein Name fehlt empfindlich: Rudolf Augstein.

Broder: Augstein und ich haben einen Waffenstillstand. Er sagt nichts über mich, ich sage nichts über ihn. Und bei aller Kritik an seinen Äußerungen trage ich doch eine tiefe Verehrung für ihn in meinem Herzen. Das, was er aus dem “Spiegel” gemacht hat - schon bevor ich eingestellt wurde, aber natürlich war meine Einstellung eine wesentliche Qualitätssteigerung -, verdient Respekt.

DIE WELT: Trotzdem gab es Artikel von Ihrem Chef, die einfach haarsträubend waren.

Broder: Einiges war ungut. Aber im Kontext dessen, was damals erschienen ist, würde sogar der Philosoph Peter Sloterdijk Augsteins Texte dennoch als “Kleinzwischenfall” bezeichnen. Es wurde Ärgeres gedruckt - auch in der WELT.

DIE WELT: Sie erfinden in Ihrem Buch ein halb naives, halb ironisches “Ich”, das sich unermüdlich durch die Fernsehkanäle zappt, durch die Zeitungen pirscht und dabei Glossen an die Ränder schreibt. Im letzten Kapitel bleibt dieses “Ich” stumm; da rollen nur noch Zitate an uns vorbei. Haben Sie kapituliert?

Broder: Ich bin fasziniert vom O-Ton, und ich merke in der Tat, dass ich mit den O-Tönen gar nicht mithalten kann. Ja, es ist eine Kapitulation. Irgendwann lässt sich der Wahnsinn nicht mehr kommentieren. Tucholsky hat mal eine kleine Treppe gezeichnet und auf die Treppenabsätze geschrieben: lesen - schreiben - schweigen.

DIE WELT: Was ist die Wurzel des Antiamerikanismus?

Broder: Die europäischen Völker haben sich entweder von den Nazis zuficken lassen, oder sie haben kräftig mitgefickt. Dazwischen war wenig. Dann kamen die Amerikaner und lösten das Theater auf. Es ist doch klar, dass die Europäer nicht besonders dankbar sein können. Man ist nicht dankbar gegenüber Leuten, die einem geholfen haben und die einem zudem dauernd das eigene Versagen vor Augen führen. Es ist ja nicht nur so, dass die Deutschen im Dritten Reich Schurken waren, sie haben als Schurken auch noch versagt! Die haben ihren Job nicht zu Ende gebracht. Stell dir vor, du brichst in eine Bank ein, hast schon den Tresor geknackt, die Kohle in deine Taschen gesteckt, und dann bist du zu blöd, um zu merken, dass die Alarmanlage aktiviert wurde.

DIE WELT: Aber auch die USA haben ihre Leichen im Keller: der Putsch gegen Allende 1973, die Kriegsverbrechen in Vietnam . . .

Broder: Ja, und die Hamburger und Coca-Cola und Hollywood . . . Wenn man ein solches Sündenregister bei Europa aufstellen würde, gehörte dieser Kontinent entweder aufgelöst oder gleich an Russland übergeben. Welche europäische Nation hat kein Blutregister im Nacken? Ausgenommen natürlich Liechtenstein, Andorra, Monaco und San Marino.

DIE WELT: Wie erklären Sie den Mangel an Mitgefühl mit den Opfern im World Trade Center?

Broder: Zum einen: Als Ami ist man selber schuld, wenn man angegriffen wird. Zum anderen: Uns kann so etwas nicht passieren. Die Vorstellung, hier könnte ein Flugzeug niedergehen und solche Verwüstungen anrichten wie in Manhattan, hat die Leute nicht erreicht. Außer einmal: Da schrieb ich, man möge sich bitte ausmalen, was los wäre, wenn ein Flieger in eines der Hochhäuser am Potsdamer Platz rast. Zwei Tage später bekam ich einen Anruf von einem Mitarbeiter von Mercedes. Er wollte wissen, ob ich raten würde, das Gebäude zu evakuieren. Einen Moment lang hatte ich eine Allmachtsfantasie und antwortete: Das könnte auf jeden Fall nicht schaden.

DIE WELT: Darf es in der politischen Debatte Tabus geben?

Broder: Es gibt doch überhaupt nur noch zwei Tabus; das eine ist Pädophilie, das soll bitte bleiben, und das andere ist Sex in der Ehe.

DIE WELT: Was wird geschehen, wenn die USA morgen im Irak einmarschieren?

Broder: Dann geht der Zirkus von vorne los. Wir werden wieder deutsche Hausfrauen erleben, die ihren Dutt schnüren, sich bei Aldi einen Vorrat Reiseschokolade kaufen und dann nach Bagdad aufbrechen, um mit ihren fülligen Leibern den Diktator zu beschützen.

DIE WELT: Wenn man Ihnen zuhört, klingt es so, als gäbe es Antiamerikanismus nur in Deutschland. Sind Sie auf Deutschland fixiert?

Broder: Ich kann nichts dafür, ich lebe halt hier. Deswegen rege ich mich auch hier auf. Zwischendurch fahre ich nach Island und finde es wunderbar: Keine Deutschen, keine Juden, keine Araber, da kann man es aushalten. Meine drei Problemvölker sind nicht da.

DIE WELT: Und worüber schreiben Sie dann?

Broder: Über das Wetter.

Henryk M. Broder:

Kein Krieg, nirgends:Die Deutschen und der Terror

Berlin Verlag, Berlin 2002. 160 S., 14,90 Euro

 

24.02.2002

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