Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

20.01.2002   12:06   +Feedback

USA-Tagebuch

Nation im Alarm-Zustand USA-Tagebuch Winter 2001/02

Eine Rolle für Gary

Wenn jemand Gary mit Vornamen und Caruso mit Nachnamen heißt, dann hat er eine Geschichte zu erzählen. “Alle vier Großeltern wanderten um die Jahrhundertwende aus Italien ein, zwei aus Kalabrien, zwei aus der Gegend um Neapel.” Der Vater des Vaters war “um ein paar Ecken” mit dem großen Caruso verwandt, sie waren Cousins dritten Grades, und als der Sänger im Jahre 1910 oder 1912 durch die USA tourte und auch ein Konzert in Pittsburgh gab, jubelte ihm die ganze italienische Gemeinde der Stadt zu. Bei dieser Gelegenheit lernten sich die Großeltern kennen, die einen und die anderen.

Gary Caruso in seinem Memorabilia-Reich (Foto: Alex Gorski)

Gary Caruso wurde 1951 geboren, ging auf die High School, studierte an der katholischen Universität von Notre Dame in Indiana Kunst und schaffte an der Universität von Pennsylvania einen Abschluss in “Presidential Rhetoric” - Theorie und Praxis der politischen Rede.

Statt aber Reden für Abgeordnete oder Senatoren zu schreiben, machte er sich selbständig. Mit zwei Geschäften für “Political Memorabilia”, eines in der “Union Station”, eines an der Ecke 14. Straße und Pennsylvania Avenue, fünf Minuten vom Weißen Haus. Die Läden sind relativ klein und vollgeladen wie eine Wundertüte mit allem, das “echt amerikanisch” ist. Fotos mit den Unterschriften von Richard Nixon, Jimmy Carter, Bill Clinton und anderen Präsidenten für Sammler, Kugelschreiber und Feuerzeuge in den US-Farben für Touristen, die ein Souvenir nach Hause mitnehmen wollen, dazu Buttons und Sticker aus den vergangenen Wahlkämpfen: “Proud To Be A Democrat” und “Proud To Be A Republican” In seinem Geschäft ist Gary Caruso unparteiisch.

Das Weiße Haus für 30 Dollar (Foto: Alex Gorski)

“Wir sind der größte Americana-Laden in ganz USA”, sagt er, “keiner bietet mehr Artikel als wir an”. Nach dem 11. September ging es mit dem Verkauf steil bergab. “Die Touristen blieben weg und auch Amerikaner machten um Washington einen Bogen.” Doch Gary handelte anti-zyklisch, er baute sein Programm aus. “Wir haben schon immer patriotische Artikel angeboten, was geht und was nicht geht, hängt immer von der politischen Lage aus.”

Zur Zeit der Lewinsky-Affäre, als Bill Clinton die Amtsenthebung drohte, verkaufte sich eine Präsidenten-Puppe besonders gut, die wie eine russische Babuschka konstruiert war, als Puppe in der Puppe in der Puppe. Der absolute Hit aber war der Bericht des Sonderermittlers Kenneth Starr, auf eine Rolle Toilettenpapier gedruckt. “Jetzt haben wir etwas Ähnliches”, sagt Gary und greift eine verpackte Klopapierrolle mit dem Bild von Osama Bin Laden aus dem Regal: 600 Blatt für 8.95 Dollar. “Etwas für Leute mit Humor”, die den aufgedruckten Spruch (“Wipe Out Bin Laden”) nicht wörtlich nehmen.

Wisch und weg: Klopapier für 9 Dollar (Foto: Alex Gorski)

Der Scherzartikel geht so gut, dass Garys Lieferant mit der Produktion kaum nachkommt. Sehr gefragt sind auch Fahnen, die Gary seit kurzem im Sortiment hat, die große - vier auf sechs Fuß - für 29.95 Dollar, eine kleinere - drei auf fünf Fuß - für 24.95 Dollar. Seidenkrawatten im Stars-and-Stripes-Design kosten ebenfalls 24.95 Dollar, Seidenschals im gleichen Muster nur 14.95 Dollar. Lapel Pins, kleine Anstecker fürs Revers, gibt es für vier, Bumper Sticker (“God Bless America”, “United We Stand”) schon für drei Dollar. Am billigsten sind Window Sticker, die man auf die Heckscheibe seines Autos kleben kann: ein Dollar.

Das teuerste Produkt im patriotischen Angebot ist ein “Comforter”, eine Art Tagesdecke aus schwerer Baumwolle für das Sofa: Wer das schöne Stück, das einer großen Fahne gleicht, haben will, muß 60 Dollar hinblättern Der “Comforter” ist zwar nicht billig, dafür aber sehr praktisch. “Man kann sich auf ihn legen, man kann sich mit ihm zudecken, man kann ihn als Tischdecke nehmen oder auf die Wand hängen, wie einen Afghan-Teppich.”

Patriotische Artikel gehen immer gut (Foto: Alex Gorski)

Wie die meisten Amerikaner ist auch Gary Caruso enttäuscht, dass es nicht gelungen ist, Osama Bin Laden zu fangen. “Das wäre ein schönes Weihnachtsgeschenk für uns alle gewesen”. Noch schöner als die Bumper Sticker, die Lapel Pins, die Krawatten, die Schals, das Toilettenpapier und alle übrigen “Memorabilia”, die er an die Amerikaner und Touristen aus aller Welt verkauft, die sich wieder nach Washington trauen. “Langsam geht es wieder bergauf”, sagt Gary Caruso und bestellt auf Vorrat eine Lieferung Osama-Bin-Laden-Toilettenpapier. Falls es noch eine Weile dauert, bis der Mann auf der Rolle gefasst wird.

20.1.2002

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