Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

20.01.2002   12:06   +Feedback

USA-Tagebuch

Nation im Alarm-Zustand USA-Tagebuch Winter 2001/02

Ein Jahr Bush “Ich staunte über meine eigene Reaktion”

Von der Terrasse ihres Appartements im 27. Stock sieht man auf halb Manhattan. Es ist der gleiche Blick, den man aus Woody Allens Filmen kennt: Kulisse einer großen Stadt. Auch die Wohnung kommt einem vertraut vor, als wäre “Hannah und ihre Schwestern” hier gedreht worden, die gleiche Ansammlung von Kunst und Kitsch, verteilt auf sehr viel Raum. Erica Jong wohnt standesgemäß. Sie hat 21 Bücher geschrieben, berühmt wurde sie mit einem Frühwerk, “Fear of Flying”, 1973 erschienen; damals gab es noch keine schreibenden “girlies” und wenn eine Frau “fuck you” sagte, ging sie sofort unter oder kam groß heraus. 1995 veröffentlichte sie “Fear of Fifty” (in der deutschen Fassung: “Keine Angst vor Fünfzig”), inzwischen hat sich auch das Problem erledigt. Erica Jong ist erwachsen geworden. Und politisch gereift.

Skepsis und Überzeugung mischen sich: Schriftstellerin Erica Jong (Foto: Henryk M. Broder)

“Ich habe immer die Demokraten gewählt, bei der letzten Wahl natürlich Al Gore. Ich habe Artikel geschrieben, warum Bush ein Heuchler und ein Schwindler ist, ein Politiker, der seine eigene Vergangenheit unter den Teppich gekehrt hat. Ich sagte: “Mr. Right is Wrong”. Leute, die Bush persönlich kennen, haben mir wilde Drogengeschichten über ihn erzählt, aber keiner wollte mit Namen genannt werden. Ich habe ihn nie leiden können, wegen seine Haltung zur Abtreibung, wegen seine Anbiederei bei den Rechten, wegen seiner Zusammenarbeit mit den christlichen Fundamentalisten - unseren amerikanischen Taliban -, wie Pat Robertson und Jerry Falwell, die gleich nach dem 11. September verkündet haben, die Terror-Anschläge waren die Strafe Gottes für unsere unmoralische Lebensart, für Homosexualität, freie Liebe und Abtreibung ...”

Sie sei “wirklich nie ein Fan von George W. Bush jr” gewesen, betont Erica Jong immer wieder, “auch nicht seines Vaters oder seiner Mutter Barbara”, die in ihren Erinnerungen geschrieben hat, sie wäre für “Pro Choice”, also für das Recht der Frauen auf körperliche Selbstbestimmung, aber weil sie ihrem Mann nicht schaden wollte, hat sie das erst zugegeben, als er nicht mehr Präsident war. “Was für eine Frau ist das? Die ganze Familie besteht aus Heuchlern! Barbara, George senior und George junior!”

Freilich: Ihr Haß auf die Bush-Familie “ist inzwischen Geschichte”. Bis zum 11. September war Erica Jong überzeugt, “Gore wäre der bessere Präsident”, dann “kam dieser unglaubliche Schock und Bush bewährte sich. Bush ist nicht sehr klug, aber klug genug, um zu wissen, was er nicht weiß. Langsam und widerstrebend spürte ich, wie ich eine gewissen Respekt für seine Politik entwickelte. Ich staunte über meine eigene Reaktion.”

Die Amerikaner lassen keine Gelegenheit aus, um ihre Verbundenheit mit ihren Land zu demonstrieren: Ob mit einem Hunde-Cape… (Foto: Henryk M. Broder)

Das war noch nicht alles. “Gleich nach dem 11. September hatte ich Gedanken und Gefühle wie nie zuvor in meinem Leben. Ich stellte mir vor, ich rufe die Regierung an und frage: Kann ich bei der CIA in den Dienst treten, als Freiwillige? Ich phantasierte, was ich tun könnte, weil ich etwas tun wollte.”

Inzwischen ist der Respekt für Bush mit Skepsis gemischt. “Natürlich benutzt er den Krieg, um die Reichen noch reicher zu machen, um Leuten, die schon viel haben, noch mehr zu geben. Und trotzdem: In der Außenpolitik macht er alles richtig, seine Innenpolitik ist eine andere Geschichte.”

Erica Jong hat ihr 22. Buch fast fertig geschrieben, es handelt von der griechischen Dichterin Sappho, die vor 2600 Jahren auf der Insel Lesbos gelebt hat. In den letzten Wochen kam sie mit der Arbeit nicht gut voran, weil sie mehr über die Zukunft als über die Vergangenheit nachdenken musste.

... oder schlicht mit einem Plakat (Foto: Henryk M. Broder)

“Wir wissen, dass Saddam Hussein Massenvernichtungswaffen produziert. Wir müssen etwas dagegen unternehmen. Wenn er die UN-Inspektoren nicht ins Land lässt, dann ist klar, was er vorbereitet. Die Europäer sind sehr naiv. Sie glauben, sie bleiben verschont, wenn sie sich raushalten. Ihr Blick in die Zukunft ist von der eigenen Vergangenheit verstellt. Aber 2001 ist nicht 1939. Afghanistan war nicht Vietnam, Irak ist nicht Korea. Saddam Hussein muss unschädlich gemacht werden. Wenn wir nichts unternehmen, wird er uns mit der Pest überziehen.”

Doch auch Erica Jong weiß: militärische Aktionen sind auf die Dauer nicht genug. “Jetzt sollten wir unser Friedens-Chor wieder beleben. Alle idealistischen jungen Amerikaner sollten nach Afghanistan gehen, um den Menschen dort zu helfen. Ärzte, Lehrer, Techniker. Ich würde gerne als Lehrerin hingehen, um englische und amerikanische Literatur zu unterrichten. Was wäre das für ein Geschenk! Wenn sie aus den Ruinen raus wollen, müssen sie Englisch lernen, um mit der Welt kommunizieren zu können. Ich möchte ihnen dabei helfen und dann einen Roman darüber schreiben.”

Im September wollte Erica Jong nach Italien fahren und Lesungen geben. “Es ging nicht. Ich konnte diese Stadt nicht verlassen, Ich konnte meine Eltern nicht allein lassen. Jetzt warten wir darauf, dass wieder etwas passiert. Diese Burschen geben nicht einfach auf. Sie sind geschlagen aber nicht besiegt.”

Statt nach Italien oder nach Afghanistan zu reisen, fährt Erica Jong in ihr Wochenendhaus in Connecticut, anderthalb Autostunden von New York entfernt. Dort will sie in Ruhe an ihrem Buch über die Dichterin Sappho weiter schreiben Und deswegen kommt nur Belinda Berkovitz mit, ihr schwarzer Königspudel.

20.1.2002

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