Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

15.03.2003   12:06   +Feedback

Alle Wecker!

D A S   L E T Z T E

So einen lieben Schwiegervater möchte jeder haben, aber nur einer hat ihn: Der Liedermacher und Friedensaktivist Konstantin Wecker. Der gute Mann heißt Reinhard Berlin, wohnt in Bassum bei Bremen und liest alles, was über seinen Schwiegersohn geschrieben wird. Manchmal reagiert er auch.

Konstantin - #1 Schwiegersohn

Am 11. Januar las er auf SPIEGEL-online meine Geschichte Hundekekse für den Frieden über Weckers Reise nach Bagdad. Danach schrieb er einen Leserbrief an die Redaktion von SPIEGEL-online, in dem er behauptete, mein Beitrag habe “nazistische Hetzparolen” in Weckers online-Gästebuch geschwemmt - “und alle beziehen sich mit großem Genuss auf den Broder-Artikel”, es sei Broder gelungen, “die miesesten Ressentiments aus der Nazi-Kiste zu aktivieren”.

Worauf ich mich auf den Weg auf Weckers Website machte, allerlei obskures Zeug, aber keine Nazi-Parolen fand. “Wären Sie so nett, mir zu sagen, wo Sie fündig geworden sind?” fragte ich bei Reinhard Berlin in Bassum bei Bremen nach. Berlin schrieb eine längere Antwort über den Umgang mit e-mails und über Gästebuch-Beiträge, “die nichts als Häme und üble Bemerkungen hinterlassen…” Solche “Auswüchse”, so Weckers Schwiegerpapa, “kennen wir seit Jahren”. Da war mit keinem Wort mehr die Rede von “nazistischen Hetzparolen” und Ressentiments, die ich “aus der Nazikiste” herausgeholt hätte. Stattdessen schlug Reinhard Berlin “eine Diskussion zwischen Ihnen und meinem Schwiegersohn” vor.

Ohne auf das Angebot einzugehen, schrieb ich an Berlin einen Brief, der mit der Frage anfing: “Erlauben Sie mir bitte, in Demut und Respekt, eine Frage: Haben Sie noch alle Tassen im Schrank?” und mit dem Satz endete: “Ich kann es mir vorstellen, dass ein Leben an der Seite von Wecker zu schweren Wahrnehmungsstörungen der Wirklichkeit führen muss und dass Passiv-Koksen auch nach Jahren unangenehme Nachwehen provoziert, wie z.B. die Unfähigkeit, zwischen Ursache und Wirkung unterscheiden zu können.”

Den ganzen Briefwechsel stellte ich auf meiner Website online, worauf Berlin beim Landgericht Verden eine Einstweilige Verfügung beantragte, mit der mir verboten werden sollte, diese beiden Sätze weiter zu verbreiten. Berlins Anwälte legten den Streitwert des Verfahrens auf satte 37.5oo,- Euro fest (um die eigenen Gebühren in die Höhe zu treiben) und baten das Gericht, “wegen der Dringlichkeit” auf eine mündliche Verhandlung zu verzichten.

Doch das Gericht setzte den Streitwert im Verfahren “Berlin gegen Broder” auf bescheidene 2.5oo,- Euro herunter und bestimmte einen Termin zur mündlichen Verhandlung. Am 26. Februar lehnten die Richter den Erlass einer Einstweiligen Verfügung ab. Sie folgten der Ansicht meines Anwalt, “dass die angegriffenen Erklärungen den Schutz der Meinungsfreiheit genießen”.

Und nur für den Fall, dass ich das Verfahren verloren hätte, hatte ich eine Ehrenerklärung für Weckers Schwiegervater vorbereitet: “Er hat alle Tassen im Schrank, nur die Untertassen sind grade unterwegs.”

HMB, 15.3.2oo3

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