Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

22.02.2007   22:28   +Feedback

Die Abenteuer des Rabbi Arye

Der Tag fing gut an. Um halb zehn Frühstück bei Meinl am Graben mit Magdalena T., danach ein Spaziergang mit Sammy durch den 1. Bezirk mit kurzen Besuchen im „Schwarzen Kameel“ in der Bognergasse („Partyservice - Köstlichkeiten“), bei „Trzesniewski“ in der Dorotheergasse („Die unaussprechlich guten Brötchen“) und einem kurzen Step-in bei „Hawelka“.
Dann Mittagessen im „Österreicher“ am Stubenring mit Gery Keszler, dem Erfinder und Organisator des „LifeBall“, der größten AIDS-Benefiz-Gala Europas. Danach waren wir mit Andreas Laun, dem Bischof von Salzburg, auf einen Topfen-, Millirahm- oder Mohnstrudel verabredet. Aber es sollte anders kommen.
Als uns Gary an der Ecke Laurenzerberg/Schwedenplatz absetzen will, läuft uns ein kleiner, schwarz gekleideter Mann über den Weg. „Das ist er!“ ruft Sammy, „den hab ich heute früh schon in der U-Bahn gesehen.“
Ich kralle meine NIKON Coolpix 5ooo, die ich letztes Jahr zum halben Preis in Haarlem gekauft habe, winde mich aus dem Mini und rufe in akzentfreiem Hebräisch: „Rega, Adon Friedman, rega echad!“ Friedman bleibt stehen, ich stelle mich vor und frage ihn, ob er Zeit für ein kurzes Gespräch hätte, alles auf Hebräisch. Friedman schaut, als hätte ich ihm aus der japanischen Ausgabe von „Max und Moritz“ vorlesen. Er versteht mich nicht. Moishe Arye Friedman, „Oberrabbiner“ der orthodoxen antizionistischen Gemeinde von Wien, versteht kein Hebräisch.
Ich wiederhole meinen Spruch auf Englisch, dann auf Deutsch, in Friedmans blasses Gesicht kehrt das Blut zurück. „Give me your number“, sagt er, und während er sich meine Nummer notiert, fährt die NIKON das Objektiv aus. Friedman will mir die Kamera aus der Hand reißen, ich weiche zurück, er verkrallt sich in meine Lederjacke und schreit „Polizei! Polizei!“ Dann „Geh doch nach Israel!“, und wieder „Polizei! Polizei!“ Ein paar Wiener bleiben stehen, aber keiner unternimmt was. Moishe Arye Friedman, Freund des iranischen Staatspräsidenten, ist für seine kleinen Open Air Performances in Wien schon eine Weile bekannt. Friedman lässt mich los, hebt mit der rechten Hand eine Plastiktüte hoch, um sein Gesicht zu verdecken, mit der anderen greift er in seine Kaftantasche, holt ein Handy raus und ruft die Polizei an.
Die Nummer hat er offenbar eingespeichert. „Man hat mich überfallen! Man will mich entführen!“ schreit er ins Telefon. „Kommen Sie gleich!“ Das nächste Polizeirevier ist gleich um die Ecke. Zwei Minuten später sind drei Beamte da, eine Polizistin und zwei männliche Kollegen. Die Polizistin führt das Wort. „Was ist passiert?“ will sie wissen. „Das sind zwei israelische Terroristen“, sagt Friedman, zeigt auf Sammy und mich, „die haben mich überfallen“, er sei ins Gesicht geschlagen worden, seine Brille sei zu Bruch gegangen, nur mit größter Not habe er Sammy und mich abwehren können. „Man sieht aber nichts“, sagt die Polizistin und empfiehlt Friedman, am nächsten Tag zum Amtsarzt zu gehen, um seine Verletzungen begutachten zu lassen. Sie nimmt ihn zur Seite und schreibt ein Protokoll. Da ich ein Ausländer bin, muss ich mit zur Wache. Inzwischen ist Bischof Laun eingetroffen und begleitet mich zur Dienststelle. Er hat in seinem Leben schon vieles erlebt, aber noch nie einen israelischen Terroristen zur Polizei begeleitet.
Die Beamtin ist nett, hat nur Schwierigkeiten mit dem Computer und dem Drucker. Nach 2o Minuten ist die Niederschrift „Betreff Körperverletzung“ abgeschlossen, die Beamtin fragt, ob ich noch etwas sagen möchte. Ich sage: „Ich kann die Wiener Polizei jedermann nur empfehlen“, Bischof Laun grinst, er kennt das Zitat.  Um 15. Uhr 1o verlassen wir die Station.
Oberrabbiner Friedman ist inzwischen verschwunden. Schade, ich hätte ihm gerne ein paar Fragen gestellt. Wo er gelernt und wo er die „Smicha“ zum Rabbiner bekommen hat, was es auf der Holocaust-Konferenz in Teheran zu essen gab, wer seinen Flug und sein Hotel bezahlt hat, bei welchem Kostümverleiher er seinen Outfit holt, wo seine Gemeinde ist und wie viele Gläubige sie zählt. Wovon er lebt,  warum ihn seine Frau verlassen hat und wie ihm die „Abenteuer des Rabbi Jakob“ mit Louis de Funes gefallen haben.
Bischof Laun und ich verschieben unseren Cafehaus-Termin, ich erwische den 15.3o Bus nach Schwechat, checke bei Berlin Air ein, kaufe noch ein paar Dosen Mozartkugeln und falle im Flugzeug sofort in einen Tiefschlaf. In zehntausend Meter Höhe träume ich, ich sei Oberrabbiner Moishe Arye Friedman in Wien auf der Straße begegnet. Ein Alptraum, den ich meinem ärgsten Feind nicht wünschen möchte.

Einen Augenzeugenbericht und tolle Bilder gibt es hier:
http://www.juedische.at/TCgi/_v2/TCgi.cgi?target=home&Param_Kat=3&Param_RB=2&Param_Red=7414

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