Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena
24.08.2007 13:03 +Feedback
... schreibt einen Offenen Brief an Ralph Giordano und fordert ihn auf zu deeskalieren. Eine Aufforderung, der wir uns anschließen müssen. Ralph, bau die Kassam-Schleuder in deinem Garten ab, hör auf, Pinguine als Frauen mit Kopftüchern zu beschimpfen, bestell dein “Stürmer”-Abo ab, droh nicht mit Selbstmord wegen Demütigung, wenn du ein paar Minuten an der Supermarktkasse warten mußt und entschuldige dich endlich dafür, dass du den Holocaust überlebt aber nix dazugelernt hast. Lies mal:
Lieber Herr Giordano,
ich habe Ihren Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung
und Ihren Brief an Herrn Alboga gelesen.
Ich respektiere und schätze Ihren Kampf gegen den Antisemitismus und
gegen den Rassismus, deshalb bin ich sehr überrascht, dass sie in Ihren
Äußerungen so radikal und undifferenziert über Koran und Muslime ohne
empirische Studien als Beleg (Vor)- urteilen. Goethe hat eine andere
Meinung über Koran und Muslime gehabt. Hat er Koran nicht richtig lesen
können? Hat seine Genialität dazu nicht ausgereicht? Zum Beispiel schrieb
er auch ein Gedicht mit dem Namen “Mahomets Gesang” zum Ehren des
islamischen Propheten Mohammed.
Sollen durch Ihre Artikel endlich Hass und Missachtung der Menschen
untereinander, die zu Holocaust führten und zur fast radikalen
“Ausrottung” der gut intergrierten “kopftuchfreien” europäischen bosnischen
Muslime während des Krieges 1991-95, während aufgeklärte christliche Welt
zuschaute und einige sich sogar darüber freuten, weniger werden. Die
aufgeklärten Europäer sammelten 1995 in Srebrenica die wenigen Waffen der
Bosniaken ein, die Serben hatten schon Waffen und das damalige verhängte
generelle Waffenembargo war faktisch gegen die Bosniaken gerichtet und
dann wurden mehr als 7000 bosnischen Muslime den Henkern in der
UNO-Schutzzone “ausgeliefert”. Es gab auch sehr viele KZ-Lager in Bosnien.
Europa hatte damals versagt. Hätte dasselbe auch den Kroaten und den
Slowenen passieren koennen? Sollte nicht die EU die Haltung gegen die
Muslime überdenken?
Sollen Ihre Beiträge dazu führen, dass man die Muslime in dieser
Gesellschaft besser intergriert werden? Oder sollen die freundschaftliche
Beziehungen zwischen Israel und der Türkei dadurch noch besser werden.
Darf man genauso radikal sein, wenn man die Politik des Staates Israels
kritisiert? Wollen sie Ihren Lebenswerk bereichern oder zerstören? Können
Sie die höchst zweifelhafte Wirkung ihrer Äußerungen richtig
einschätzen?
Die Medienwirklichkeit und die empirische Wirklichkeit sind nich
dasselbe. Sie verwechseln viele Sachen. Ausserdem erwaehnen Sie das Wort
“Nationalismus” im Zusammenhang mit dem Muslimsein. Was hat denn das
Muslimsein und der Nationalismus gemeinsam? Dr. Sabine Schiffer vom Institut
für Medienverantwortung hat über den islamfeindlichen Diskurs in den
Medien empirisch und seriös geforscht? Wo sind Ihre empirische
Untersuchungen? Sie sollten die Doktorarbeit von Barbara Schramkowski
“Intergration unter Vorbehalt” lesen und feststellen, dass sich auch scheinbar
intergrierte Türken wegen “Alltagsrassismus"nicht intergriert fühlen.
Eigene Vorurteile überwinden bedeutet auch im Alter die gesammte
Wirklichkeit sehen zu wollen. Es gibt wissenschaftliche Studien, die Belegen,
dass die Muslime in Europa diskriminiert werden
(http://www.focus.de/politik/ausland/eu-studie_aid_121271.html). Es ist
kein Wunder, wenn man solche Beitraege wie von Ihnen lesen kann.
Was ist die Ursache?
Man respektiert und anerkennt die Menschen in dieser Gesellschaft oft
nicht, nur deshalb, weil sie eine andere Religion haben, andere Rasse
haben. Ja, lieber Herr Giordano, eine andere Rasse, es ist kein Wunder, dass sich
so viele Rechtsradikale von Ihren zu wenig differenzierten
Feststellungen beeindrucken lassen.
Machen sie nicht die ähnliche Argumentation hoffähig, die Herr
Möllemann im Bezug zur Politik des Staates Israel ausgesprochen hat?
Sprach nicht Herr Möllemann auch nicht aus dem Herzen der
Mehrheitsgesellschaft? Sollen wir uns nicht als aufgeklärte Leute davon lösen die
Sachen mit zu vielen Emotionen zu betrachten, sondern uns auch mal einen
Balkonblick auf die Ereignisse gönnen.
Für Sie Herr Giordano scheinen nur die Muslime friedlich zu sein, die
Islam kritisieren und daruf salopp gesagt “spucken”. Ohne Respekt für
die eigenen Wurzel kann man keine sinnvolle Zukunft und echten Respekt
erfahren. Frau Kelek berichtet aus dem Gefängnis über die Türken, wobei
Sie die Gefängnissinsassen als typische Türken in Deutschland verklärt.
Die Mehrheitsgesellschaft fühlt sich bestättigt und kauft die Bücher
mit den Gedanken"dies haben wir über die Türken schon gewusst” und
“endlich müssen wir nicht mehr ein schlechtes Gewissen haben”. Die
Doktorarbeit von Frau Kelek war differenziert, aber dies wolte doch niemand
lesen. Jetzt hat Sie nicht nur finaziellen Erfolg mit Halbwahrheiten und mit
der Bestättigung der Vorurteile der Mehrheitsgesellschaft. Das tun Sie
auch. Schreiben sie endlich eine empirische und wissenschaftliche
Arbeit ueber Ihre Aussagen? Sie sollen auf die Mehrheit der Muslime
zutreffen? Alle ander Studien belegen dies nicht.
Sie sollen etwas von dem Hauptimam der Bosniar Dr. Mustafa Ceric lesen,
der den Theodor-Heuss-Preis in diesem Jahr bekommen hat. Er ruft zur
Frieden,zur Toleranz und zur Partizipation der Muslime in dieser
Gesellschaft auf und das auf dem Boden des Grundgesetzes, obwohl vor einigen
Jahren 200 000 bosnischen Muslime in Europa vernichtet wurde. Ja, das
ist möglich. Sie sollen noch mal zum Beispiel das Alte Testament lesen
und feststellen, dass auch dort viele “Schrecken” beschrieben sind. Es
kommt aber nur auf die Interpretation und auf den geschichtlichen
Zusammenhang der Sachverhalte in den Heiligenbüchern an.
Wir dürfen nicht in unseren Urteilen radikal werden, dies wird uns
wieder nach Auschwitz führen - es ist traurig, dass ich eigentlich durch
meinen Brief Ihren Kampf gegen Rassismus weiter führen muss.
Sie sollen nicht mehr undiffrenziert schreiben und dadurch meiner
Meinung nach fast im Stil von der NSDAP-Zeitung"Stuermer” die Menschen fuer
einen unheilvollen Kampf mobilisieren. Stuermer hat alle Vorurteile,
die man ueber Juden hatte, immer wieder thematisiert. Die Menschen auf
den Muegelnstrassen,die Auslaender verpruegeln, urteilen auch ohne jede
Emperie Auslaender hätten Privilegien und wandern in die soziale Systeme
ein. Viele Ausländerhasser teilen diese falsche Meinung. Ausserdem
wissen Sie, dass Xenophobie eine antropologische Konstante ist. Sie nutzen
diese negative Energie und vergrössern sie, statt fuer Toleranz zu
werben. Damit wecken Sie das grosse latente Potential des Antisemitismus
und des Rechtsradikalismus in dieser Gesellschaft, die laut Prof. Dr.
Niedermayer-Untersuchungen vorhanden ist, wieder.
Die Zeit fuer die Deeskalation ist gekommen, besonders fuer Ihre Seite.
SZ, Berlin
, wenn du ein paar Minuten an der Supermarkt-Kasse warten mußt. Und entschuldige dich endlich dafür, dass du den Holocaust überlebt hast.
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