Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

17.05.2008   12:15   +Feedback

Zur Hölle mit den Juden!

Kaum war ich nach unserem Nachtmahl in der “Kronenhalle” im “Baur au Lac” zurück, machte ich das Fernsehen an, um zu erfahren, ob in der großen weiten Welt etwas passiert war, das man wissen mußte. Noch eine Sturmflut, noch ein Erdbeben, noch eine Reform der Reform der Pendlerpauschale. Es war der 15. Mai, nach dem gregorianischen Kalender der 60. Jahrestag der Gründung Israels. (Die Juden hatten schon eine Woche vorher nach ihrem Kalender gefeiert.) Überall in Deutschland fanden Gedenkveranstaltungen statt, bei denen es freilich weniger um das Glück der Juden wie das Unglück der Palästinenser ging, die seit 60 Jahren, entrechtet und vertrieben, darauf warten, in ihre alte Heimat zurückkehren zu dürfen. Auch die “tagesthemen” nahmen sich des Themas an, mit einem Beitrag von Richard C. Schneider aus dem ARD-Studio Tel Aviv. http://www.tagesschau.de/multimedia/video/video318980.html
Ich muss zugeben, nachdem ich den Beitrag gesehen hatte, kam mir das Kalbsgeschnetzelte aus der “Kronenhalle” kurz wieder hoch; aber dann geriet ich beim Zappen in eine Wiederholung der TT auf einem anderen Sender. Und da wurde mir klar, dass Schneider auf eine listige, beinah hinterfotzige Weise der ARD ein Kuckucksei ins Nest gelegt hatte. In dem Beitrag ging es vordergründig um die Leiden der Palästinenser, tatsächlich aber darum, wie gut es den Palästinensern geht. Sie leben in “Lagern”, um die sie jeder Flüchtling im Sudan oder Tschad beneiden würde. Sie sehen gesund und gut ernährt aus. Sie sitzen gemütlich zusammen und rauchen Shiha. Sie haben keine Arbeit, aber alles zum Leben, was sie brauchen. Und wenn es ihnen langweilig wird, gehen sie auf eine Demo. Und das soll das Elend sein? Sie verbringen ihre Zeit damit, auf die Rückkehr nach “Falastin” zu warten, obwohl sie mitten in “Falastin” leben, nur ein paar Kilometer von dem Ort entfernt, aus dem sie vor 60 Jahren “von den Juden” vertrieben wurden. Sie haben sogar noch den Schlüssel zu ihrem Haus im alten Lod (Lydda), in das sie unbedingt zurück wollen, der 76 Jahre alte Jabir, sein Sohn Othman, der schon im Lager geboren wurde, und bestimmt auch dessen Kinder und Enkel. “Dort ist mein Leben.” Sein Vater möchte unbedingt in Lod begraben werden.
Selten ist das Drama der Palästinenser klarer beschrieben worden. Und die Folgen einer kollektiven Infantilisierung durch Nichtstun und Fremdfürsorge. Weil sie schon 60 Jahre auf die Rückkehr warten, sind sie bereit, weitere 60 oder auch 600 Jahre auf die Rückkehr zu warten. Denn sie gehen davon aus, dass die Juden eines Tages verschwinden werden, am besten “zur Hölle”, wie es Jabir elegant formuliert. Also haben sie sich im Wartesaal gemütlich eingerichtet, werden von der UNRWA und der EU versorgt und erzählen sich gegenseitig Geschichten, wie schön es früher in Lod war, bevor die Juden kamen, 400 Männer in eine Moschee einsperrten, sie ermordeten und die Leichen beseitigten.
Seltsam, noch ein Massenmord, von dem man bisher nichts gehört hat, ganz im Gegensatzu zu Deir Yassin. Hier hätte Schneider natürlich nachfragen können, was die Juden mit den 400 Leichen gemacht haben. Haben sie die Körper in guter deutscher Tradition zu Schmierseife verarbeitet? Dass Schneider nicht nachgefragt hat, hatte vermutlich einen guten Grund: Er wollte zeigen, in was für einer Welt aus Gerüchten, Märchen, Phantasien und Wunschdenken die Palästinenser leben.
Leider hat er auch vergessen zu fragen, was Jabir und seine Kinder machen würden, wenn sie doch eines Tages nach Lod zurück könnten. Ohne die UNRWA, ohne die EU und ohne dass sie etwas anderes gelernt hätten, als Shisha zu rauchen und Geschichten zu erzählen.

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