Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

05.01.2009   11:34   +Feedback

Rund um Gaza

Nie geraten die Deutschen so außer sich, wie wenn sie zu sich kommen wollen, hat Tucholsky mal geschrieben. Es ist wieder soweit. Die Deutschen kommen zu sich. Sie räsonieren über ihre Geschichte, ihre Leiden, ihre Verbrechen, ihre Versäumnisse - auf dem Umweg über die Palästinenser.  Das stimulierende Moment dabei ist nicht die Not der Palästinenser, sondern die Tatsache, dass es Juden (Zionisten) sind, die für die Not der Palästinenser verantwortlich sind. Solange sich die Palästinenser gegenseitig massakrieren, wie bei der Machtübernahme der Hamas in Gaza im Sommer 2007, gehen deren Leiden den guten Deutschen am multikulturellen Arsch vorbei. Denn sie haben keine offene Rechnung mit den Palästinensern, sondern mit den Juden. Und so versuchen sie immer wieder, diese Rechnung auszugleichen, indem sie ihren Protest gegeben das schlechte Benehmen der Juden (Zionisten) mit dem Satz einleiten “Gerade wir als Deutsche” und dann mit den Verbrechen der Nazis an den Juden weitermachen, gegen die sie, ein wenig verspätet, ihre Stimmen erheben. So wird aus jedem Rentner, jeder Hausfrau und jedem Hysteriker ein hyperaktiver Widerstandskämpfer.

Schauen Sie sich mal diese hübsche Karikatur (“Israel wehrt sich”) aus dem Tagesspiegel mal an: http://www.tagesspiegel.de/medien/karikaturen/cme803,248107.html
Würde Klaus Stuttmann in einem Häuschen wohnen, das seit Jahren von einem Nachbargrunstück aus beschossen wird, dann würde er sich nicht wehren, er würde sich erst einmal fragen: “Was habe ich falsch gemacht, dass mein Nachbar mich so hassen muss?” Dann würde er Horst-Eberhard Richter um Rat angehen und anschließend vor seinem Haus eine Demo veranstalten: “Gewalt ist keine Lösung!”

Sehr schön ist auch der Redebeitrag von Pfarrer Ingo Roer auf der Kundgebung an der Frankfurter Hauptwache am 31.12.2008:

“Ich bin ein Deutscher und ein Pfarrer. Als Deutscher werde ich mich nicht nur einfach schämen für die Regierung meines Landes, sondern ich bitte um Verständnis für das machtlose, von zu vielen Menschen verlassene, verurteilte, geschundene Volk in Gaza. Wen muß ich bitten? Meine Kirche, die Regierung, meine Landsleute? Alle? Ich könnte mich nicht mehr als Mensch sehen, wenn ich Menschen als „Hamas“ etikettierte, um sie wie Tiere zu schächten und zu schlachten. Ich sehe mich als Mensch, wenn ich um das Leben bitte für die gequälten, beraubten Frauen und Kinder in Gaza. Als Pfarrer fühle ich mich, wenn ich Gott um das bitte, was unter Menschen unmöglich zu sein scheint, einander die allgemeinen Menschenrechte zu gewähren bzw. die zehn Gebote zu halten.
Und wenn dieser Gott fragt: „Wo warst Du, Adam, das heißt Mensch, als Deutsche die Juden ermordeten?“, dann kann ich sagen: „Ich lernte damals erst laufen und die menschliche Sprache.“ Und wenn dieser Gott heute fragt: “Wo wart Ihr, als Israelis die Palästinenser in Gaza ermordeten?“ Wenn meine Enkelin fragt:“ Warum waren es so wenige, die gegen die Vernichtung der Palästinenser in Gaza protestierten?“ Wenn die Regierenden nach dem Massaker fragen: “Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürgern, warum habt Ihr so leise widersprochen?“ Dann können wir hier sagen: „Wir haben angefangen, bei einander zu stehen bei denen, die ihre Kinder verloren haben, bei denen, denen ihre Männer und ihre Frauen ermordet worden sind, denen die Heimaterde geraubt oder zerstört worden ist. Wir haben vielleicht zu leise gesprochen, aber wir haben gesprochen.”

Und danach fühlt sich Pfarrer Roer schon erheblich besser, nicht weil es den Palästinensern besser geht, sondern weil er gesprochen hat, “als Israelis die Palästinenser in Gaza ermordeten”. Im Gegensatz zu seinen Eltern, die geschweiegen haben, “als Deutsche die Juden ermordeten”. So therapieren sich die guten Deutschen, mal durch Reden, mal durch Schweigen, mal auf dem Rücken der Juden, mal auf dem Rücken der Palästinenser, wie es grad geht.

Auch die Polizei hat aus der Geschichte gelernt und nimmt ein paar unbelehrbare schlechte Deutsche in Gewahrsam, wie man in diesem Video sehen kann: http://www.wdr.de/mediathek/html/regional/2009/01/03/aktuelle-stunde-israel-demonstration.xml

Und wenn der Deuschlandfunk mal keinen Interviewpartner findet, der bestätigt, dass die Hamas-Raketen harmlose Kracher sind, dann macht es der Moderator selber: “Frau Eitan, gerade was das betrifft. Auf israelischer Seite sind bisher körperlich zumindest kaum Menschen zu Schaden gekommen. Schießt die Hamas so schlecht oder funktioniert der Zivilschutz in Israel so gut?” http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/898452/

Eine solche Frage zeugt schon von einem geschärften Problembewusstsein. Eine Etage drunter, im Forum einer großen Tageszeitung, kommen selbstgebastelte Experten zu Wort, die sich vor nichts ekeln, nicht einmal vor sich selber. Hier eine kleine Auswahl:

“Was die jüdische Armee gerade im Gaza-Streifen macht ist vergleichbar mit den Vorgehen der Waffen-SS im Warschauer Getto. Aber diesmal sind die Juden die Getto-Vernichter. Ich schäme mich als Deutscher für die israelische Bombardierung der Zivilbevölkerung, für die Beschießung von Krankenhäuser und Moscheen, für das zionistische menschenlebenverachtende Töten, Morden und die Kriegsverbrechen, die unsere deutsche Politiker mit deutschen Steuergeldern mitfinanzieren.”

“Ich kann nur sagen, dass ich das Blutvergießen im Gaza-Getto nur einem Lächeln verfolge. Endlich zeigen die fundamental-radikalen jüdischen Zionisten ihr wahres Gesicht. Endlich bekommt auch der dümmste Bildzeitungsleser mit wie die Zionisten in Wirklichkeit sind. Nämlich menschenmordende Bestien. Endlich zeigt der Zionist ganz offen was er von dem Leben von Frauen und Kindern hält. Das was mir an meisten schmerz sind die über 40 Milliarden Euro versteckter Militärhilfe die Deutschland jedes Jahr an den parasitär lebenden Judenterrorstaat bezahlt. Mit diesem Geld könnte man in Deutschland einiges machen und man müsste nicht die Mordorgien der Zionisten bezahlen.”

“Also mein Prüfungsthema in Geschichte vor 30 Jahren war der arabisch-israelischer Konflikt. Damals war ich zu 100% hinter den Juden gestanden. Ich habe damals gedacht das sind arme Menschen, die wurden von den Nazis verfolgt und die haben das Recht auf eine Heimat. Heute nach 30 Jahren haben mir die Zionisten die Augen geöffnet. Die jüdischen Siedler und die israelische Armee benehmen sich entgegen der Ansicht einiger Kommentatoren nicht wie die Nazis damals vor 60 Jahren. Die benehmen sich schlimmer als die Nazis. Ich bin kein Freund der Moslems. Aber so einem Terrorstaat wie Israel gehört die Unterstützung entzogen!”

“Der Staat Israel zeigt sich als Nazi-Staat. Er ist menschenlebendverachtend wie die Nazis! Er raubt Lebensraum wie die Nazis. Er hat Konzentrationslager wie die Nazis. Er fühlt sich als Herrenmensch um über andere Völker zu herrschen. Die zionistische Judenarmee ist schlimmer wie die SS der Nazis!”

Leider wurde das Forum inzwischen deaktiviert.

Was jetzt noch fehlt, sind “kritische Juden und Jüdinnen”, die nicht nur für einen “gerechten Frieden” in Palästine eintreten, sondern jedem Hobby-Antisemiten das Gefühl geben, ein großer Analytiker und Stratege zu sein. Und schon kommt Paula Abrams-Hourani wie ein Karfiol um die Ecke geschossen und sagt: “Ich will auf keinen Fall die Hamas verteidigen. Man kann aber deren selbstgebastelte Raketen auf keinen Fall mit den hochtechnologischen Waffen der Nuklearmacht Israel vergleichen. Außerdem: Was erwartet man von Menschen, die seit vielen Jahrzehnten eingesperrt sind in einem Freiluftgefängnis, einem Getto, umschlossen von Hochsicherheit und Mauern, aus dem es kein Entrinnen gibt?” http://www.kurier.at/nachrichten/284403.php Es wäre in jedem Fall zu viel, von einer Schwachstrom-Leuchte wie Paula Abrams-Hourani zu erwarten, dass sie weiß oder wenigstens ahnt, seit wann die Menschen in Gaza “in einem Freiluftgefängnis, einem Getto, umschlossen von Hochsicherheit und Mauern” leben müssen und wie die Situation in Gaza war, bevor die Bürger von Gaza in einer demokratischen Wahl die Hamas an die Regierung wählten. Oder noch früher, bevor die Selbstmordattentäter die offene Grenze zwischen Gaza und Israel dazu nutzten, die Reise ins Paradies anzutreten. Und würde so eine kleine “selbstgebastelte” Kassam in der Wohnküche von Paula Abrams-Hourani einschlagen, wäre ihr letzter Gedanke nicht “shit happens”, sondern: “Gottseidank, es ist keine hochtechnologische Waffe einer Nuklearmacht!”

Noch konsequenter ist nur noch, Sie ahnen es, unsere Lieblingshausfrau aus Malsburg-Marzell aus dem hinteren Kandertal im südlichen Schwarzwald, die am 3.1. in Düsseldorf das “sofortige Ende der Besatzung” gefordert hat. Dass die Zionisten vor keiner Gemeinheit zurückschrecken, machte sie mit dem Satz klar: “Ausserdem kommt die Marine von der Wasserseite”. Das ist echt fies, denn eine anständige Marine kommt von der Landseite und im Schwarzwald sogar zu Fuß über die Berge, um die Menschen nicht zu erschrecken. http://www.youtube.com/watch?v=8-cuHCQauUc&feature=related

Leider ist das Video ein wenig kurz, es fehlen ein paar zentrale Aussagen der selbstgebastelten Jeanne D’Arc aus dem hinteren Kandertal. Diese zum Beispiel:
“Der jüdische Staat befindet sich durch eigene Überhöhung und propagandistische Euphorisierung der Kampfesstärke als fünfgrößte Militärmacht der Welt, angestachelt und bestärkt durch die USA und insbesondere auch durch die deutsche Regierung in einem nationalen kollektiven Blutrausch.”
Oder diese: “Gerade hier in Deutschland sollten wir nicht wieder die schon einmal gemachten Fehler wiederholen und wegschauen. Ich frage mich, gerade auch als deutsche Jüdin, wie kann ein jüdischer Staat, nämlich Israel, das immer wieder auf den Holocaust hinweist und alle Besucher nach Jad Vaschem führt, so viel Leid, so viel Menschenrechts verletzende und brutale Besatzung und Blockade über ein anders Volk, nämlich die Palästinenser, bringen.”
Vor allem aber diese: “Mich schmerzt und empört, dass die mediale Berichterstattung, insbesondere hier bei uns, mit wenigen Ausnahmen im Radio und Fernsehen falsch und einseitig berichtet. Man sollte nicht zögern, E-mails an Rundfunk- und Fernsehanstalten zu schicken, um gegen diese skandalöse Berichterstattung zu protestieren. Mein neustes Beispiel von Gestern: Nach meiner Rede hatte ich zwei Interviews, nämlich mit dem WDR 2 (Rundfunk) und SAT 1 (Fernsehen). Bei der Berichterstattung über die gestrigen Demonstrationen und Ausstrahlung über die Düsseldorfer Veranstaltung wurde in beiden Nachrichtensendungen weder meine Teilnahme, meine Rede, geschweige denn die Interviews gebracht. Soviel zum sauberen Journalismus und objektiver Nachrichtenberichterstattung.”

Dass die Israelis in Gaza einmarschiert sind, um ihren Blutrausch zu befriedigen, ist schlimm; noch schlimmer ist nur noch die skandalöse “mediale Berichterstattung”, in der die Aktivitäten und Äußerungen der aus dem hinteren Kandertal angereisten Friedenskämpferin unterschlagen werden. Wenn das sauberer Journalismus ist, dann liegt Malsburg-Marzell im Zentrum von Gaza und wartet darauf, endlich von der “medialen Berichtgerstattung” wahrgenommen zu werden.

Permanenter Link

Achgut  Inland  

Die Achse des Guten