Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

10.04.2009   20:53   +Feedback

Auschwitz, Sabra und Schatilla

Wir haben schon öfter darauf hingewiesen, was für eine Bedeutung die Judenfrage für die Linke hat, die Linke im allgemeinen und die LINKE im besonderen. Wie schon im Kaiserreich und später in der Weimarer Republik ist sie der Lackmustest für Rechtschaffenheit, Zusammengehörigkeit, Treue und Verrat. An der Frage: “Wie hältst du es mit den Juden, (Volks)-Genosse?” scheiden sich die linken Geister und Gespenster. Das alles ist, was es schon immer war: eine pathologische Störung. Wenn sich aber genug Verstörte zusammenrotten, wird das Irresein zum Normalzustand. Ellen Brombacher, die innerhalb der LINKEN die Kommunistische Plattform vertritt, hat zuerst im ND und dann in den “Mitteilungen der Kommunistischen Plattform” vom März 2009 eine Grundatzerklärung über die Frage veröffentlicht, wo Israelkritik aufhört und Antisemitismus anfängt. Der Beitrag fängt mit der Erinnerung an einem Selbstversuch an:

“Auf der gegen die israelische Aggression im Gaza-Streifen gerichteten Demonstration am 17. Januar 2009 in Berlin trug ein vor mir laufender Mann ein Plakat mit der Aufschrift: “Schluß mit dem Holocaust in Gaza”. Ich kämpfte lange mit mir. Ich fragte mich: Habe ich in Anbetracht der grauenhaften Ereignisse in Gaza das moralische Recht, dem Mann – es war, wie ich später erfuhr, ein Palästinenser – zu sagen, daß dies ein unzulässiger Vergleich ist? Zugleich bewegte mich die Frage: Habe ich im Wissen um die Shoah das Recht, dieses Plakat einfach zu übersehen? Schließlich sprach ich ihn an. Als er mir all die furchtbaren Tatsachen aufzählte, die das Leben und Sterben der Palästinenser in Gaza bestimmen – die Blockade, die Bombardements, die ermordeten Kinder – antwortete ich ihm, eben deshalb sei ich hier, und ein Verbrechen müsse als Verbrechen benannt werden dürfen. Dennoch sei der Vergleich mit dem Holocaust nicht richtig und schade daher auch dem Anliegen der Demonstration. Hier schaltete sich seine Gefährtin, eine Deutsche, ein. Sie teile meine Auffassung. Deshalb sei sie auch nicht bereit gewesen, dieses Plakat zu tragen…”

Die gute Deutsche fand aber nichts dabei, bei einer Demo mitzulaufen, in der nicht nur von einem Holocaust an den Palästinenser fantasiert, sondern auch “Zionisten sind Faschisten, morden Kinder und Zivilisten” und “Intifada bis zum Sieg!” gerufen wurde. Frau Brombacher ihrerseits musste an Sabra und Schatilla denken und daran, dass Auschwitz nicht eine deutsche Recycling-Anlage in Polen, sondern eine moralische Anstalt war, deren “Schrei nach Menschlichkeit” noch immer zu hören ist:

“Um jedes Mißverständnis zu vermeiden: Weder die Jahrhunderte andauernde grausame Verfolgung der Juden noch Auschwitz als Symbol des Unfaßbaren und doch so real Gewesenen rechtfertigen das schlimme Schicksal der Palästinenser: Den ihnen alltäglich widerfahrenden Rassismus, die Vertreibungen, ihr Elendsdasein in Flüchtlingslagern, die ungesühnten Massaker von Sabra und Schatila, die Blockade Gazas, die Kriege von 1967, 1982 und 2007 sowie die jüngste, Menschenrechte zerfetzende Aggression.

Auschwitz ist der Schrei nach Menschlichkeit. Aber Auschwitz ist auch der Schrei: “Mit uns nie wieder!” Der ist ebenso berechtigt wie er mißbrauchbar ist. Und er wird von den Herrschenden in Israel unerträglich mißbraucht. Und die sind nicht isoliert. Sie vertreten zugleich die imperialistischen Interessen der USA und der NATOin der Region. Daß der seine Waffen auf Palästinenser richtende, die Uniform der israelischen Streitkräfte tragende Enkel des Auschwitz-Überlebenden nicht an imperiale Interessen, aber vielleicht – in der Überzeugung, das Existenzrecht Israels zu verteidigen – an seine im Gas erstickten Vorfahren denkt, ist von tiefer Tragik.”
http://www.neues-deutschland.de/artikel/143031.das-schweigen-aber-es-ist-keine-alternative.html?sstr=

Die Tragik von Ellen Brombacher liegt nicht darin, dass sie keine Nachkommin eines die Uniform der deutschen Streikräfte tragenden Fachmanns für angewandte Problemlösungen ist, sondern dass sie nicht denken kann und alles in die Tonne haut, auf der “die imperialistischen Interessen der USA und der NATO” drauf steht. Was eine so neue Erkentnis ist wie die, dass Kapitalismus zum Faschismus führt, eine Kontruktion, mit deren Hilfe die Linke den deutschen Nationalsozialismus desinfiziert hat. Der war ja immerhin auch eine Spielart des Sozialismus.

Ellen Brombachers Grundsatzerklärung blieb nicht unwidersprochen. Im Internetmagazin Kalaschnikow erschien die Antwort eines Volksgenossen, der Brombachers Ausführung viel zu israelfreundlich fand und deswegen ihre “liberalen Illusionen in das Wesen Israels und des zionistischen Projektes” Satz für Satz im schönsten Stalindeutsch demolierte. U.a. mit solchen Feststellungen:

“Leider schadet aber auch Ellen Brombachers halbgare Analyse des zionistischen Projekts, wenn der Begriff Analyse denn nicht schon zu hoch gegriffen ist, dem Anliegen des Kampfes um die Beendigung von Rassismus und Unterdrückung in und um Palästina… Abgesehen davon, dass es beim Palästinakonflikt nicht um die “Existenz des jüdischen Volkes” geht, das schließlich nur zum Teil in Israel lebt und dort seit Ende der Nazibarbarei an Leib und Leben gefährdeter ist als sonstwo auf der Welt, schließen sich die nationalen Interessen der Palästinenser und die sozialen Interessen der werktätigen Mehrheit unter ihnen einerseits und der Zionismus und sein historisches Projekt Israel als “Staat der Juden” per definitionem gegenseitig aus.” http://www.kalaschnikow.de/de/index.php?id=1218&rubrik=13

Der Kampf zwischen fortschrittlichen und reaktionären Kräften um die richtige Haltung zur Judenfrage des 21. Jahrhunderts wird weiter gehen. Links von Ellen Brombacher ist nicht die Wand, links von ihr ist der Abgrund, in dem die Kadaver linker Utopien verwesen. Es gibt freilich Volksgenossen, die von dem Gestank angetörnt werden.

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