Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

09.06.2009   10:34   +Feedback

Kluge Moderatoren watschen dumme Wähler ab

Was am Donnerstag noch wie die einmalige Entgleisung eines Korrespondenten aussah, setzte sich am Sonntagabend programmübergreifend fort. Es war nicht nur die Rede von einem “Rechtsruck” in Europa, es wurde vor allem der Eindruck suggeriert, “Rechtsradikale” und “Rechtsextreme” wären im Begriff, die Macht an sich zu reißen. Die dummen Wähler wurden von den klugen Moderatoren und Kommentatoren abgewatscht, die offenbar nicht nur mit einem anderen Ausgang der Wahl gerechnet hatten, sondern auch mit ihrer Enttäuschung kaum hinterm Berg halten konnten.

Der ansonsten nicht zu Kurzschlüssen neigende ZDF-Anchorman Claus Kleber sprach von einem “Erstarken der extremen Rechten in Holland”, als wäre die “Nationaal-Socialistische Beweging in Nederland” wieder auferstanden. In der ARD berichtete WDR-Chefredakteur Jörg Schönborn vom guten Abschneiden einer antisemitischen Partei in Ungarn, die auf Anhieb 15 Prozent geholt habe, und machte nahtlos mit der Nachricht weiter, auch in Holland hätten Rechtsextreme “hohe Gewinne” geholt. So wurde ein nicht vorhandener Kontext suggeriert, der sogar der “aktuellen kamera” zu gewagt gewesen wäre. Während sich, wie in solchen Fällen üblich, alle Parteien mit Ausnahme der SPD zu Wahlsiegern erklärten, schwebte unausgesprochen aber unüberhörbar die Frage im Raum: Arme Sozialdemokraten! Wie konnten sie nur so tief fallen!

Vielleicht deswegen: Deutschland (und ein großer Teil von Europa) ist in den letzten Jahrzehnten dermaßen gründlich sozialdemokratisiert worden, dass die Marke SPD ihre Singularität verloren hat. Im Bundestag sitzen, mit Ausnahme der FDP, nur noch Parteien mit einer sozialdemokratischen Programmatik, die sich allenfalls in Marginalien voneinander unterscheiden. Die CSU z.B. steht in vielen Fragen links von der SPD, die CDU strahlt oft grüner als die Grünen und die Linke wartet nur auf die Gelegenheit, am Katzentisch der SPD Platz nehmen zu dürfen. Wenn also fast alle Parteien sozialdemokratische Angebote verbreiten, gibt es für den Wähler keinen Grund, die SPD zu bevorzugen. Im Gegenteil, er tut gut daran, auch mal die anderen zu besuchen, so wie Aldi-Käufer gerne wissen wollen, ob es bei Lidl etwas Neues gibt.

Der Rechtsruck, der jetzt wie ein Menetekel an die Wand gemalt wird, ist keiner, sondern nur ein Signal für die Rückkehr zur Realität. Die etablierten sozialdemokratischen Parteien - in Deutschland ebenso wie in Holland, Schweden, Österreich usw. - sind mit Krisenmanagement beschäftigt, mit der Verstaatlichung maroder Banken und bankrotter Unternehmen, mit der Umverteilung der Ressourcen. Sie sind weder in der Lage noch willens, über andere Probleme auch nur nachzudenken, die über die nächste Senkung oder Erhöhung des Leitzinses hinausgehen.

Über die Folgen der Immigration, den Verlust der kulturellen Identität, den viele “Bürger ohne Migrationshintergrund” spüren, die keine Lust haben, deswegen zu Fremdenhassern, Rechtsextremen oder Rechtsradikalen abgestempelt zu werden. Diese Unterlassung kommt “Populisten” wie Geert Wilders zugute, die sich nicht scheuen, politisch unkorrekte Themen anzupacken und Antworten auf Fragen zu geben, die sonst niemand stellen will.

Im Übrigen ist “Fremdenhass” ein Begriff, der punktgenau eingesetzt werden sollte: Wenn die Einwohner von Mecklenburg-Vorpommern gegen Polen zu Felde ziehen, die in dem wirtschaftsschwachen Land investieren, Betriebe aufmachen, Arbeitsplätze schaffen und Steuern zahlen. Oder wenn in Guben Ausländer durch die Stadt gehetzt werden, denen kein anständiger Einheimischer zu Hilfe kommt.

Dagegen sollte nicht von “Fremdenhass” geredet werden, wenn Dazugekommene gebeten werden, die Bräuche und Gesetze des Landes zu beachten, in dem sie gerne arbeiten und leben möchten. Dazu gehört neben der Schulpflicht auch der Verzicht auf familiäre Traditionen, die mit Blutbädern enden.

Und schließlich: Der “dumme” Wähler hat erkannt, dass er ein Parlament unterhält, dessen primäre Aufgabe nicht die Kontrolle der europäischen Exekutive, sondern die Versorgung von Politikern ist, die für ihre treuen Dienste von ihren Parteien belohnt werden. Wer aus irgendwelchen Gründen daheim versagt hat oder eine Warteschleife drehen muss, der wird nach Brüssel geschickt. Die Ex-Vorsitzende der Grünen, Angelika Beer, wurde in die EU-Hauptstadt entsorgt; nachdem sie von den Grünen nicht wieder nominiert wurde, trat sie aus der Partei aus; jetzt ist Reinhard Bütikofer an der Reihe, der sich wie viele seiner Kollegen ein Leben nach der Politik nicht vorstellen kann.

Joachim Zeller, ein sympathischer CDU-Mann, hat als Bürgermeister von Berlin-Mitte nicht viel erreicht, jetzt wird er mit einem Sitz in Brüssel belohnt. Sahra Wagenknecht von der Kommunistischen Plattform der Linken, ist recht oft in TV-Shows zu sehen und zu hören. An einen relevanten Redebeitrag von ihr in Brüssel kann sich kaum jemand erinnern. Und wer auch nur einen einzigen Auftritt des SPD-Spitzenkandidaten Martin Schulz mitbekommen hat, der konnte voraussehen, dass dem ehemaligen Bürgermeister von Würselen nicht einmal Frank-Walter Steinmeier helfen konnte.

So betrachtet sind die Europawahlen erstaunlich gut gelaufen, vor allem in der Bundesrepublik. Die Wahlbeteiligung war relativ hoch, Rechtsradikale blieben draußen vor, die Linken im einstelligen Bereich stecken. Das Volk weiß nicht immer, was es will. Aber meistens weiß es, was es nicht will. Und das ist gut so.

Hier zuerst erschienen: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,629231,00.html

See also: European Voters Know What They Don’t Want
http://www.spiegel.de/international/europe/0,1518,629433,00.html

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