Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

05.09.2009   15:59   +Feedback

Geschichten vom multiplen Leben

Das Buch eines Kollegen zu besprechen, ist immer ein delikates Unterfangen. Lobt man es, sieht es nach einer Gefälligkeit aus, verreisst man es, nach Neid und Rache. Am besten, man lässt die Finger ganz von solchen Drahtseilakten, die nur mit einem Absturz enden können. Was aber, wenn einem das Buch wirklich gefallen hat und man dem Kollegen «Herzlichen Glückwunsch zu deinem ersten Roman!» zurufen möchte? Soll man es privat tun, am besten zur Mittagszeit in der Kantine? Nein, dann doch lieber öffentlich und wissend, dass man sich blamieren könnte.

Daniel Haas, Kulturredaktor bei Spiegel online, hat einen Roman geschrieben: «Desperado. Abenteuer eines Glücksuchers». Hätte ich von Belletristik eine Ahnung, würde ich jetzt nach Vorlagen suchen und am Ende wahrscheinlich beim jungen Werther landen, nur um festzustellen, dass die Analogie nicht viel taugt. In jedem ordentlichen Roman verzweifeln Menschen an sich selbst, sie suchen etwas, das es nicht gibt, und wenn es gutgeht, finden sie sich am Ende mit dem ab, was sie verzweifeln lässt. Unglücklich zu sein, ist der Normalzustand, nur in den Romanen von Uta Danella gibt es ein Happy End.

Auch Daniel Haas hat sich, wenn ich ihn richtig verstanden habe, seine Wut von der Seele geschrieben, dass er nicht der ist, der er sein möchte, dass er mit Leuten zu tun hat, die er nicht besonders mag, und dass er vermutlich nicht einmal weiss, wer er sein und was er eigentlich machen möchte. Es ist die Situation der Generation «Golf plus», der Unerwachsenen zwischen 35 und 45, die in einer virtuellen Welt aufgewachsen sind und die nun merken, dass in der Realität nach anderen Regeln gespielt wird.

Jahrelang glaubten sie, nur einen Mausklick vom Jackpot entfernt zu sein, nun sehen sie, der Jackpot war eine optische Täuschung, wie alles Übrige auch. «Ich bin ein Loser und habe noch nicht einmal einen Blog, in dem ich mich über meine Verhältnisse auslassen könnte», lässt Daniel Haas sein Alter Ego, einen Werbetexter, sagen, «über das Establishment, wie es uns alle drankriegt, auch die Kreativen, auch die Dissidenten.» Denn egal, ob sie mit dem Strom geschwommen sind oder sich dagegen gestemmt haben, alle «Distinktionsgewinne» mussten «hart erkämpft» werden, und immer war es das Design, welches das Sein bestimmte, «von der Zahnspange bis zum Rollstuhl».

Das ewige Bemühen, immer anders und dabei up to date zu sein, hatte auf die Dauer eine egalisierende Wirkung. Wenn alle ein iPhone haben, ist das iPhone nichts Besonderes.

Und so lässt Haas seinen Vertreter viele verschiedene Leben führen, als Zocker, als Paranoiker, als Masochist, als Dandy, als Terrorist. Die Kulissen bleiben dieselben, die Akteure auch, sie wechseln nur die Kostüme. «Wenn Authentizität das Ziel ist, wie weit muss man gehen?», fragt der Purist, um gleich darauf ein «Leben als Tierfreund» anzutreten, das ihn ebenso überfordert wie alle anderen davor und danach.

Daniel Haas erzählt Geschichten vom multiplen Leben auf der Achterbahn der Sinnsuche; er macht es souverän, witzig und lakonisch, ohne einen Hauch von Selbstüberhöhung oder Selbstmitleid. Viele, die er nicht gemeint hat, werden sich in dem Buch wiedererkennen, während andere, die ihm als Vorlage gedient haben, sich darüber schlapp lachen werden, wie blöd die anderen sind.

So muss es sein. Was im richtigen Leben als Klischee darbt, bekommt in der Literatur ein Gesicht. Wenn ich Daniel Haas richtig verstanden habe.

Daniel Haas: Desperado. Abenteuer eines Glücksuchers.
Ullstein. Euro 7.95

C: Weltwoche, 3.9.09

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