Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

12.01.2010   18:51   +Feedback

Professor Benz und der Paradigmenwechsel

Wie alles in der Welt geht auch die Sozialwissenschaft mit der Mode. Die Einrichtung von Studienfächern wie „gender studies“, „holocaust studies“ oder
„Medienwissenschaft“ entspringt keiner Notwendigkeit, sie reflektiert nur den Zeitgeist, der seinerseits sowohl Alice Schwarzer wie Charlotte Roche eine Nische bietet.

Auch die Sozialpsychologie, Unterabteilung Vorurteilsforschung, bleibt vom Zeitgeist nicht verschont. Sehr in Mode sind derzeit Arbeiten über „Antisemitismus und Islamophobie“, deren Verfasser aufrichtig versichern, sie würden das eine mit dem anderen nicht gleichsetzen, sondern nur vergleichen. Und Vergleiche anzustellen, sei eine wissenschaftlich bewährte und zulässige Methode.

Das stimmt. Grundsätzlich kann man alles mit allem vergleichen. Die Wehrmacht mit der Heilsarmee, einen Bikini mit einer Burka und die GEZ mit der Camorra.
Und deswegen kann man auch – theoretisch – den Antisemitismus mit der Islamophobie vergleichen, auch wenn das eine Phänomen mindestens 2000 Jahre alt ist und das andere ein Kampfbegriff, der von Ayatollah Khomeini vor 30 Jahren kreiert wurde. Praktisch läuft der Vergleich – ausgesprochen oder insinuiert – darauf hinaus, dass die Moslems die Juden von heute sind und die so genannte Islamophobie „strukturell“ dem Antisemitismus verwandt ist. Was auch nicht ganz falsch ist, wenn man bedenkt, dass ein Nilpferd mit einem Menschen einiges gemeinsam hat: Es isst, schläft, verdaut und pflanzt sich heterosexuell fort.

Analogien aufzurufen, um sie schließlich scheinheilig zu verneinen, das ist die Methode Hohmann. Der ehemalige CDU-Abgeordnete hat in einer Rede eine Stunde lang über die Untaten der Juden im Lauf der Geschichte referiert, um am Ende festzustellen, man könnte die Juden, obwohl sie sich furchtbarer Verbrechen schuldig gemacht hätten, nicht als „Tätervolk“ bezeichnen – ebenso wenig wie die Deutschen. Das war Zweck und Ziel seiner Beweisführung, die auf Analogien basierte, die ihrerseits so verwegen wie willkürlich waren.

Der spektakuläre Auftritt bei einer Feier zum Tag der deutschen Einheit hat den Mann aus Fulda zuerst seine Mitgliedschaft bei der CDU und dann seinen Sitz im Bundestag gekostet. Aber dazugelernt hat er nichts. Wer immer Hohmann als Antisemiten bezeichnet oder behauptet, er habe die Juden als Tätervolk charakterisiert, bekommt zur Belohnung eine kostenpflichtige Abmahnung ins Haus.

Man muss an Hohmann erinnern, weil er das Muster geliefert hat, das inzwischen auch in der seriösen Welt der Wissenschaft zur Anwendung kommt. Prof. Wolfgang Benz, Historiker und Leiter des Berliner Zentrums für Antisemitismusforschung, hat vor einer Woche in der SZ einen Beitrag veröffentlicht, in dem er Parallelen zwischen den Antisemiten des 19. Jahrhunderts und manchen „Islamkritikern“ des 21. Jahrhunderts zieht. http://www.sueddeutsche.de/politik/837/499119/text/
Das zu tun, ist sein gutes Recht. Das gute Recht des Lesers ist es, sich und Prof. Benz zu fragen, welcher kleine Dybuk Besitz von ihm ergriffen hat. Warum, zum Beispiel, beschränkt er sich auf den Antisemitismus des 19. Jahrhunderts, obwohl die Spuren des Antisemitismus des 20. Jahrhunderts noch überall zu besichtigen sind?

Warum verzichtet er auf den auch in seinem Institut oft gebrauchten Begriff „Islamophobie“ und spricht statt dessen von „Islamkritik“, dermaßen unterstellend, dass Kritik am Islam per se verdächtigt ist, die Moslems so zu diffamieren wie der Antisemitismus des 19. Jahrhunderts die Juden diffamiert hat? Benz schreibt:
„Wer sich, zu Recht, über die Borniertheit der Judenfeinde entrüstet, muss aber auch das Feindbild Islam kritisch betrachten (das sich zuweilen eines aggressiven, aufgesetzten Philosemitismus bedient). Es ist ein Gebot der Wissenschaft, die Erkenntnisse, die aus der Analyse des antisemitischen Ressentiments gewonnen wurden, paradigmatisch zu nutzen.“

Wenn man den Jargon der akademischen Wichtigtuerei auf seinen Kern reduziert, enthält dieser Absatz zwei Aussagen. Erstens: Nicht der real existierende Islam soll kritisch betrachtet werden, sondern das „Feindbild Islam“, offenbar ein Phantomgebilde, das nur in der Phantasie der Islamkritiker existiert. Zweitens: Die Einsichten, die aus der Beschäftigung mit dem Antisemitismus (des 19. Jahrhunderts?) gewonnen wurden, sollen nicht dazu dienen, sich mit dem modernen Antisemitismus des 21. Jahrhunderts (von Ahmadinejad bis Hohmann und Möllemann) zu beschäftigen, sondern „paradigmatisch“ genutzt werden, also bei der Gewinnung von Einsichten über das Wesen der „Islamophobie“ bzw. „Islamkritik“ behilflich sein. Das ist so, als würde sich jemand lange und ausgiebig mit der Geschichte des Sklavenhandels beschäftigen, um mit den so gewonnenen Erkennt-nissen eine Analyse von „Big Brother“ auf RTL 2 zu schreiben.

Professor Benz’ besondere Qualifikation, die ihn zu paradigma-tischen Übungen befähigt, ist seine Ahnungslosigkeit. Er hat vom Judentum keine Ahnung, er hat vom Antisemitismus keine Ahnung, und vom Islam hat er auch keine Ahnung. Dafür versteht er was von einem Paradigmenwechsel, den er mit seiner Arbeit befördert.

Nehmen wir einmal an, es gäbe tatsächlich so etwas wie eine „Islamophobie“. Worin liegen dann ihre „strukturellen“ Parallelen zum Antisemitismus?
Zunächst einmal hat der Antisemitismus wenig mit Juden und gar nichts mit deren Verhalten zu tun. Das zu begreifen, fällt auch Juden nicht leicht. Reiche Juden werden von Antisemiten gehasst, weil sie reich sind, arme Juden, weil sie der Gesellschaft zur Last fallen. Kluge Juden sind arrogant, dumme dermaßen erbärmlich, dass sie Ekel hervorrufen. Sozialistische Juden zersetzen die Gesellschaft, konservative stehen dem Fortschritt im Wege. Was immer der Jude tut (oder unterlässt), der Antisemit macht es ihm zur Vorwurf. Deswegen nutzt es nichts, wenn der Jude sein Verhalten ändert, um dem Antisemiten entgegenzukommen; der ist dem Juden immer um eine argumentative Nasenlänge voraus.

Haben die Antisemiten in den 20er und 30er Jahren gerufen: „Juden raus nach Palästina!“, so rufen die Antizionisten heute: „Zionisten raus aus Palästina!“ Dabei ist der Antisemit sehr wohl in der Lage zu differenzieren, er bestimmt auch, wer ein guter und wer ein schlechter Jude ist. Heute sind die ultra-orthodoxen Narren der „Naturei Karta“, die zu Präsident Ahmadinejad reisen und gemeinsam mit ihm den Zionismus verurteilen, die guten Juden, ebenso wie Tony Judt und Norman Finkelstein, hinter deren glatt koscheren Argumenten sich die Antisemiten gerne verschanzen: „Ja, wenn es die Juden selber sagen….“

Basiert der Antisemitismus also auf hysterischen Ängsten, Erfindungen, Projektionen und Neidgefühlen, hat die „Islamophobie“ eine reale Basis. Es sind die Terroranschläge islamischer Terroristen, die sich auf ihren Glauben berufen, es sind die in der Tradition verwurzelten Ehrenmorde, die mit den üblichen „Familiendramen“ nicht zu vergleichen sind, es ist das Wüten der Taliban in Afghanistan, es sind die von Moslems begangenen Anschläge in Pakistan und im Irak, denen vor allem Moslems zum Opfer fallen, es sind die Kinderehen, die in Saudi-Arabien geschlossen werden, und die „Ehen auf Zeit“, die im Iran die Prostitution ersetzen; es sind die Steinigungen von Ehebrecherinnen und es ist das Aufhängen von Homosexuellen; es ist das Beharren darauf, dass Islam „Frieden“ bedeutet, entgegen allem Augenschein; es ist die Mischung aus Barbarei und High Tech, der sich Geiselnehmer bedienen, wenn sie die Hinrichtungen ihrer Geiseln als Video ins Netz stellen. Und vor allem: Es ist der Umgang mit Dissidenten und Häretikern in den eigenen Reihen, wie Salman Rushdie, Ayaan Hirsi Ali und Seyran Ates, die jedes Vorurteil über die dem Islam innewohnende Toleranz in ein gefestigtes Urteil verwandeln.

Dass Benz „Islamophobie“ gegen „Islamkritik“ ausgewechselt hat, beweist nur, wie flexibel die Beine sind, auf denen der von ihm praktizierte Kurswechsel daher kommt. Für das, was Benz sagen will, gibt es nicht einmal einen Begriff. Da helfen dem Fachmann auch die 20 Jahre als Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung nicht weiter.

Im Falle des Islam liegt das Problem nicht bei den Kritikern, sondern beim Gegenstand der Kritik. Und bei Experten, die beim Wechsel der Paradigmen aus der Bahn fliegen.

Siehe auch:
http://www.welt.de/politik/deutschland/article5823155/Islamkritik-ist-nicht-vergleichbar-mit-Judenhass.html

 

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