Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

08.07.2010   08:12   +Feedback

Gauck im Glück

Wenn man sich auf etwas verlassen kann, dann ist es das kurze Gedächtnis der Deutschen. Sie kennen die Halbwertzeit von Uran, Plutonium und Radium, sie wissen genau, wie lange eine Polyethylen-Tüte braucht, um sich in ihre chemischen Bestandteile aufzulösen, sogar beim Kauf von Windeln achten sie darauf, dass die Umwelt bei der Entsorgung nicht belastet wird. Nur wenn es um Geschichte geht, versagen sowohl das Erinnerungsvermögen wie der Sinn für Sauberkeit.

So provoziert man z.B. immer wieder fassungsloses Staunen, wenn man daran erinnert, dass die Partei DIE LINKE aus der SED hervorgegangen ist, die in der DDR fast 40 Jahre lang das Sagen gehabt hat. Denn es sind schon 20 Jahre her seit dem Ende der DDR und die ehemalige Staatspartei von Ulbricht, Mielke und Honecker hat sich fest in den parlamentarischen Strukturen der Bundesrepublik etabliert. Wie fest, das konnte man noch letzte Woche bei der Wahl des neuen Bundespräsidenten erleben, als sich im dritten und entscheidenden Wahlgang die Wahlmänner und Wahlfrauen der LINKEN der Stimme enthielten und damit dem Kandidaten der Regierung, Christian Wulff, zum Sieg verhalfen.

Nun muss der CDU-Mann Wulff mit dem Makel leben, mit passiver Hilfe der Linkspartei gewählt worden zu sein. Das ist nicht schön. Noch unschöner wäre es nur gewesen, wenn Joachim Gauck mit aktiver Hilfe der Linkspartei gewählt worden wäre. Das blieb dem Pastor aus Rostock erspart.

In jedem Fall hat die „Ex-SED“ (C.C. Malzahn in der WELT) ihre Verachtung für das System bewiesen, dem sie ihre wundersame Auferstehung verdankt. Nicht weil sie aus Trotz eine eigene Zählkandidatin aufgestellt, sondern weil sie sowohl Gauck wie Wulff für unwählbar erklärt hat – Wulff, weil er von der CDU aufgestellt wurde, Gauck, weil er im Gegensatz zu den Genossen der „Ex-SED“ die DDR ohne Wenn und Aber einen Unrechtsstaat nennt, dessen Untergang ein Glücksfall der deutschen Geschichte war.

Wie weit diese Verachtung geht, machte zwischen dem zweiten und dritten Wahlgang ein Wahlmann der LINKEN deutlich. „Was würden Sie denn machen, Sie hätten die Wahl zwischen Stalin und Hitler, was würden Sie denn machen, wenn sie die Wahl zwischen Pest und Cholera haben…“ antwortete er auf die Frage eines Reporters, ob sich die LINKE im dritten Wahlgang enthalten würde.

Der Satz war kein Ausrutscher und keine Entgleisung. Er kam aus dem Herzen. Gesagt hat ihn der Landesvorsitzende der Linkspartei in Niedersachsen und Bundestagsabgeordnete Dieter Dehm.

Der 1950 geborene Frankfurter, der seine politische Karriere als Protestsänger („Lerryn“) begonnen und die Hymne der Friedens-bewegung „Weiches Wasser bricht den Stein“ geschrieben hat, war lange in der SPD aktiv, zuerst bei den Jusos, später im Bezirk Hessen Süd und als Bundesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Selbstständige in der SPD. Sein Insiderwissen brachte er als Mitgift in eine Beziehung mit dem Ministerium für Staatssicherheit der DDR ein. In einem Aktenvermerk der Hauptabteilung XX der Stasi vom 25.6.1971 heißt es: „Mit Dehm sind feste Vereinbarungen mit nachrichtendienstlichen Charakter getroffen worden.“ Der junge Student war nach „Einschätzung“ seines Führungsoffiziers „intelligent“ und „sehr kontaktfreudig“, dazu „sehr von sich eingenommen“ und bemüht, „im Mittelpunkt zu stehen“.

Dehm wurde als „IM Dieter“ und „IM Willy“ geführt und lieferte jahrelang Informationen nach Ost-Berlin, bis er schließlich in Ungnade fiel. Bis heute behauptet er, kein „Informant der Stasi“ gewesen zu sein, man habe ihn nur „abgeschöpft“, ohne dass er es bemerkt hätte.

Dehms Stasi-Akte ist 400 Seiten dick und eine außerordentlich amüsante Lektüre. Er sei, so hielt es sein Anwerber in einer Notiz fest, „sehr begeistert über das moderne Stadtzentrum unserer Hauptstadt“ und der Meinung „unsere Mädchen (seien) hübscher als die in der BRD, weil sich unsere mehr bilden, während die Mädchen in der BRD durch die Werbung und Manipulation nur entsprechend den Mode-Richtungen leben“.

1998 verließ Dehm die SPD aus und trat der PDS bei, wie die ehemalige SED hieß, bevor sie den Namen LINKE annahm. Er ist nicht der einzige in seiner Partei mit einem Stasi-Hintergrund. Von so einem nicht gewählt zu werden, ist eine Ehre. Da hat Joachim Gauck noch mal Glück gehabt.
©  Weltwoche, 8.7.10

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