Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

12.11.2010   22:31   +Feedback

Palaver zu Beginn der fünften Jahreszeit

Ich gebe zu: Ich hab was gegen Akademiker. Sie sind pompous and pretentious, Maulhelden und Sesselpupser, die einem die Welt erklären, aber nicht in der Lage sind, einen Gouda von einem Emmentaler zu unterscheiden. Natürlich nicht alle. Naturwissenschaftler sind meistens okay, auch wenn sie weder den Urknall erklären noch das Rätsel lösen können, wie die Pyramiden gebaut wurden. Aber Geisteswissenschaftler sind die Alchemisten unserer Tage. Zauberer, die eine Sacher-Torte so lange hin und her drehen, bis aus ihr ein Stück Zwieback geworden ist.
Anfang des Jahres hatte ich mit einem Vertreter dieser Spezies zu tun, dem Philosophen und Altphilologen Mathias Brodkorb aus Mecklenburg-Vorpommern. Der hatte mir einen Satz in den Mund gelegt, den ich nie gesagt habe. Mehr noch: Es war das reine Gegenteil. Dennoch fand Brodkorb, es handle sich um eine zulässige Interpretation. Schauen Sie bitte hier:

Und jetzt kommt die gleiche Geschichte noch einmal, nur mit einem anderen Protagnisten. Wolfgang Palaver, Professor am Institut für systematische Theologie der Universität Innsbruck. In einem Interview über “die Botschaft des Korans” mit der ZEIT sagte er u.a.:

“Hirsi Ali wird von Islamisten verfolgt, ihren existenziellen Erfahrungen kann man nicht widersprechen. Wenn aber Henryk Broder fordert, ein Muslim müsse aufhören, ein Muslim zu sein, dann erinnert das an die Geschichte des Antijudaismus: »Wir haben nichts gegen Juden, solange sie keine Juden mehr sind.« Das geht zu weit.”

Ich meinerseits fand, es geht zu weit, wenn ein Theologe mir etwas in den Mund legt, das nicht einmal nach einer Oblate schmeckt. Dazu einer, der von “Antujdaismus” schwafelt und die “Stimmung gegen die Muslime ... auf keinen Fall mit der Judenfeindlichkeit der Nazis vergleichen” will, es aber doch tut. - Ich schrieb Professor Palaver eine mail und bat ihn, mir zu sagen,
“wann und wo ich gefordert habe, ein Muslim müsse auhören, ein Muslim zu sein”.

Worauf mir Professor Wolfgang Palaver erklärte, was er unter “systematischer Theologie” versteht:

Sehr geehrter Herr Broder
Zuerst muss ich Sie um Entschuldigung bitten, da der Hinweis auf Ihre Person in meinem Zeit-Interview tatsächlich durch seine verkürzte, mehrere Gedanken überspringende Darstellung missverständlich ist. Ich habe nur meine Schlussfolgerung formuliert, ohne den Weg meiner Argumentation zu entfalten. Bei der Durchsicht des Interviews ist mir das leider entgangen. Ihr Protest hat mich auf diese meine Unachtsamkeit aufmerksam gemacht.

Natürlich haben Sie nirgendwo direkt behauptet, dass Muslime aufhören sollen, Muslime zu sein. Dennoch möchte ich meine Behauptung aufrecht erhalten, dass Ihre Position zum Islam letztlich auf eine solche Schlussfolgerung hinausläuft. Das Interview mit Thomas Assheuer fand mit Ausnahme der ersten Frage über Präsident Wulff bereits am 14.1. dieses Jahres statt. Damals war ich gedanklich sehr stark mit der Reaktion auf die Schweizer Abstimmung über das Verbot von Minaretten beschäftigt. Ihr Kommentar darüber in der Welt vom 30.11. – in der Sie diesen Ausbruch populistischer Ressentiments für mich unverständlicherweise gut hießen – hat mich zu meiner Aussage bewegt, denn wer keinen Gegensatz zwischen Minarett-Verbot und Religionsfreiheit erkennt, verbannt Religion in den Privatbereich. Genau das läuft aber faktisch auf eine Abschaffung des Islams hinaus, wenn man zugesteht, dass zum Islam auch notwendig die Dimension von Öffentlichkeit gehört. Der deutsche Islamwissenschaftler Stefan Wild vertritt wie viele andere auch mit Recht die These, dass der Islam „öffentlich … oder gar nicht ist“ (S. Wild, Orthopraxie, Orthodoxie und Öffentlichkeit in islamischen Kulturen. In: Religiöse Überzeugungen und öffentliche Vernunft. Zur Rolle des Christentums in der pluralistischen Gesellschaft. Hrsg. von F.-J. Bormann u.a. Freiburg im Breisgau 2008, 92-112, hier 95). Wilds These gilt genauso auch für das Christentum, zumindest kann ich das für die katholische Kirche behaupten. Unmissverständlich hat sich beispielsweise Benedikt XVI. in diese Richtung – bei gleichzeitiger Distanzierung von Laizismus und Fundamentalismus geäußert: „Die christliche Religion und die anderen Religionen können ihren Beitrag zur Entwicklung nur leisten, wenn Gott auch im öffentlichen Bereich mit spezifischem Bezug auf die kulturellen, sozialen, wirtschaftlichen und insbesondere politischen Aspekte Platz findet.“ (Caritas in veritate Nr. 56) Ihr offener Brief an Präsident Wulff unterstreicht ja auch noch einmal Ihre Position von damals: Religion sei „Privatsache“. Was wir aber heute brauchen, ist – um mit Böckenförde zu sprechen – eine offene Neutralität des Staates, die den Religionen einen öffentlichen Raum in der Gesellschaft (Zivilgesellschaft) ermöglicht, ohne dadurch die Religionsfreiheit in Frage zu stellen.

Der in meinem Zeit-Interview anschließende Hinweis auf Analogien zu bestimmten Formen des Antijudaismus bezieht sich auf eine evidente Gefahr, die unsere moderne Welt und auch bestimmte Strömungen in der Aufklärung begleitet hat. Ohne Kant direkt Intoleranz vorwerfen zu wollen, zeigt sich schon bei ihm diese Gefahr, wenn wir nur seine Formulierung von der „Euthanasie des Judentums“ (Der Streit der Fakultäten) beachten, mit der er für eine Vernunftreligion plädierte, die alle positiven Religionen hinter sich lassen sollte (vgl. R. Forst, Toleranz im Konflikt, FaM 2003, 418-437). In Kants Gefolge kann dann auf den jüdischen Neokantianer Hermann Cohen verwiesen werden, der indirekt zu jenem Kult des Staates beitrug, der im 20. Jahrhundert die Judenvernichtung möglich machte. Zygmunt Bauman hat das überzeugend in seiner Analyse der Ambivalenz der Assimilation rekonstruiert. Im Blick auf Cohen zeigt er welche Interpretationen dieser Sicht des Staates folgen konnten und faktisch auch tatsächlich auf mörderische Weise folgten:

„Die Möglichkeit einer solchen Interpretation war ständig und unaufhebbar in der Auffassung enthalten, welche Emanzipation als Homogenität statt als Pluralismus definierte, als Verwischung von Differenzen statt als ihre Gleichheit, als eine Omnipotenz des technologischen Staates statt seiner Einschränkung durch eine sich selbst behauptende und sich selber verwaltende, multikulturelle Gesellschaft. Im Licht einer solchen Auffassung konnte man es den Deutschen kaum verargen, daß sie – statt Emanzipation als eine notwendige Vermischung von Kulturen zuzulassen – die Selbstauslöschung der jüdischen Identität als Vorbedingung für die Zulassung zur deutschen Gesellschaft verlangten. Eine oder zwei Generationen später würden sie die Auslöschung der Juden selbst verlangen – und durchsetzen. Und sie würden es mit Hilfe desselben omnipotenten Staates tun, der, wie stets, entschlossen war, die einzige condition humaine zu universalisieren und auf diese Weise obligatorisch zu machen, die er für angemessen hält.“ (Z. Bauman, Moderne und Ambivalenz. FaM 1995, 162).

Ich finde, dass diese von Bauman beschriebene Gefahr auch in unserer aktuellen Debatte über den Islam in Europa beachtet werden muss. Schon Baumans Hinweis auf die „multikulturelle Gesellschaft“ zeigt ja, wie fragwürdig beispielsweise Angela Merkels viel zu vorschnelle Distanzierung vom Multikulturalismus ist.

Meine Distanzierung von Ihrer Verteidigung der Schweizer Volksabstimmung speist sich übrigens keineswegs aus einem Ressentiment Ihrer Person gegenüber. Ich lese seit vielen Jahren Ihre Texte (zugegeben weniger in jüngerer Zeit). Besonders profitiert habe ich von Ihrem Zeit-Artikel „Die Opfer der Opfer“ aus dem Jahre 1989 und Ihrem Buch „Die Irren von Zion“, weil Sie in diesen Arbeiten die Problematik des Opferstatus beleuchten, den ich auch an Ende meines Zeit-Interviews anspreche.

Ich hoffe, dass ich mit diesen Ausführungen das Missverständnis meines Interviews ausräumen konnte und keine neuen Missverständnisse erzeugte. Gerne bin ich aber bereit, auf noch offene oder auch weitere Fragen zu antworten.

mit freundlichen Grüßen
?Wolfgang Palaver

Kann ich etwas dafür, dass meine Vorurteile gegenüber Akademikern immer wieder bestätigt werden? Wenn sich Schwaadlappen als Labertaschen entlarven? Würde ein Mathematiker sagen, zwei mal zwei sei zwar nicht fünf, laufe aber “letztlich auf eine solche Schlussfolgerung hinaus”, er könnte nicht einmal mehr an der Volkshochschule von Ouagadougou unterrichten. Aber ein “systematischer Theologe” weiss nicht nur, wie man aus Wasser Wein machen, Locken auf einer Glatze drehen und Gott hinters Licht führen kann, er ruft Papst Benedikt, Immanuel Kant, Hermann Cohen und Zygmunt Bauman als Zeugen auf, dass er zwar alles gelesen aber nix verstanden hat, der Vollpfosten aus Innsbruck.

Man kann die Sache wahrscheinlich auch anders erklären. Nein, nicht mit “nomen est omen”, das wäre zu einfach. Palaver hat seinen Brief an mich am 11.11. geschrieben. Und da fängt nicht nur im Rheinland die närrische Saison an.

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