Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

19.01.2012   16:16   +Feedback

Recyceln und zuführen

Sensibilität im Umgang mit der Geschichte ist in Deutschland eine geschätzte Tugend. Man sagt z.B. nicht „Juden“ sondern „jüdische Mitbürger“. Nicht „Zigeuner“ sondern „Sinti und Roma“. Geht es um die Opfer der „Endlösung“, ist immer von „Jüdinnen und Juden“ die Rede. Die Wendung „Bis zur Vergasung“, an sich nur die Beschreibung eines chemisch-physikalischen Vorgangs, bei dem ein fester oder ein flüssiger Stoff in Gas umgewandelt wird, ist total tabu. 

Nun aber ist etwas Seltsames passiert. Im Rahmen der 7. Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst hat ein Künstler dazu aufgerufen, „möglichst viele Exemplare des Buches“ DEUTSCHLAND SCHAFFT SICH AB von Thilo Sarrazin „zu sammeln und sich seiner so zu entledigen“, denn:

„Das Buch weckte und förderte anti-migrantische und hauptsächlich anti-türkische Tendenzen in diesem Land.“ Dazu wurden 17 „Abgabepunkte“ bzw. „Sammelstellen“ in ganz Berlin eingerichtet. Die dort abgegebenen Bücher sollten in einer „Installation“ gezeigt und am Ende der Biennale „für einen guten Zweck recycelt“ werden.

Eine solche Kunstaktion unweit der Stelle zu veranstalten, an der die Nazis im Mai 1933 im Zuge einer „Aktion wider den undeutschen Geist“ Tausende von Büchern dem Feuer „übergaben“, zeugt vom politischen Bewusstsein einer Amöbe. Hätte der Künstler dazu aufgerufen, Exemplare des Koran einzusammeln, wäre ein Sturm der Entrüstung ausgebrochen. So aber war es nur ein laues Lüftchen. Das bundeseigene Institut für Auslandsbeziehungen zog seine Beteiligung an der Aktion zurück. „Vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte“ wäre so etwas „nicht akzeptabel“.  Der Intendant des Berliner Hauses der Kulturen der Welt erklärte, man habe „individuelle Zeichen gegen fremdenfeindliches Gedankengut“ setzen wollen, müsse aber nun einsehen, „dass diese Aktion mit den nationalsozialistischen Bücherverbrennungen in Zusammenhang gebracht wird“. Der eigentliche Veranstalter der Biennale versprach, man werde „gemeinsam mit dem Publikum an der Frage arbeiten, welchem Zweck die Bücher zugeführt werden sollten“.

Das ist der Unterschied zu 1933: Das Publikum darf mitbestimmen.

Erschienen in der Weltwoche vom 17.1.

 

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