Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

20.09.2012   08:00   +Feedback

About Schmidt

Die deutschen Sozialdemokraten haben eine Begabung, sich das Leben schwer zu machen. Ein Jahr vor den nächsten Wahlen zum Bundestag können sie sich zum Beispiel nicht auf einen Kandidaten einigen, der das Rennen gegen Angela Merkel verlieren soll.

Sie präsentieren eine Troika: den ehemaligen Außenminister Frank-Walter Steinmeier, den ehemaligen Minister der Finanzen Peer Steinbrück und den ehemaligen Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Siegmar Gabriel, der die Partei seit 2009 führt. Es wäre übertrieben zu sagen, dass es sich bei den drei Kandidaten um charismatische Persönlichkeiten handelt, es sind eher Funktionäre und Technokraten, die es noch mal wissen wollen, obwohl sie ihre politische Zukunft hinter sich haben.

Der zur Zeit beliebteste deutsche Sozialdemokrat ist ebenfalls ein Ehemaliger: Ex-Bundesminister für Verteidigung, Ex-Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen und Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt. Inzwischen 93 Jahre alt und körperlich angeschlagen, tritt er noch immer in Talkshows auf und nimmt Stellung zu politischen Fragen, vor allem auf dem Gebiet der Außenpolitik.

In einem Interview mit dem ZEIT-Magazin hat er den Volksaufstand auf dem Platz des himmlischen Friedens in Peking im Jahre 1989 ganz neu interpretiert. Das chinesische Militär habe sich gewehrt, nachdem es von den Demonstranten mit Steinen und Molotow-Coctails angegriffen wurde, der chinesischen Regierung habe ein „enormer Gesichtsverlust“ gedroht, die vom Roten Kreuz geschätzte Zahl der Toten von 2.600 sei „weit übertrieben“ und schließlich: Man sollte politische Vorgänge in China nicht nach europäischen Maßstäben beurteilen, denn: Persönliche Freiheitsrechte habe es in der chinesischen Geschichte nie gegeben.

Hätte ein CDU-Politiker solche Sätze von sich gegeben, wäre er umgehend niedergemacht worden, auch von den eigenen Parteifreunden. Aber Schmidt gilt nicht nur als „elder statesman“, er ist ein Nationalheiliger. Er könnte aus dem Paderborner Telefonbuch vorlesen und die Leute wären noch immer begeistert, wie fit und wie geistesgegenwärtig er ist.

Noch traut sich niemand in der SPD, es klar zu sagen: Aber wenn Schmidt sich bereit erklären würde, als Kanzlerkandidat anzutreten, hätte die SPD eine reelle Chance, die Wahlen zu gewinnen.

Erschienen in der Weltwoche vom 20.9.12

 

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