Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

12.12.2009   20:46   +Feedback

Was die Juden antreibt

Die Geschichte der Juden ist eine jahrtausendalte Vertreibung von Ägyptern, Persern und Römern aus ihrem Heimatland und daran anschließend eine mörderisch-grausame Ausrottung und Vertreibung aus zahlreichen Ländern Europas.

Ich bin ein Deutscher, der die Errichtung des heutigen Israel entlastend und zum Teil mit Bewunderung erlebt hat. Da mein Vater als Kommunist im KZ war, fühlte ich mich vom Beginn an auf der Seite der Nazigegner und erlebte die bis heute zum Teil noch vorherrschende, wenn auch zurückgehaltene Judenfeindschaft der Deutschen.

Seit einigen Jahren wurde in mir jedoch Kritik wach,  über die brutale Vertreibungspolitik Israels gegen die Palästinenser. Wie kann ein Volk, dass so grosse Erfahrungen mit Ausrottungen und Vertreibungen erlebt hat, das Gleiche mit einem anderen Volk praktizieren? Verblüffend erlebte ich auf einem Kongress in Israel den lärmenden Anspruch orthodoxer Juden.

Dagegen entwickelten sich in mir Einsichten in die vielfältigen Leistungen von Juden im Ausland. Für mich wurden vor allem Heine, Freud und Einstein zum Symbol dieser Entwicklungs-Koryphäen. Als Arzt erfuhr ich von zahlreichen erfolgreichen jüdischen Mediziner in Deutschland. Darüberhinaus enthält die Geschichte eine Vielzahl von progressiven jüdischen Wissenschaftlern, Philosophen und Künstlern.

Damit komme ich zu meiner ungewöhnlichen Hypothese: Könnte es sein, dass immer dann, wenn ein Volk keine Heimat mehr hat, besonders kreative Einzelleistungen in der Emigration vollbringt, wenn es von ausgeprägten sozio-kulturellen und religiösen Werten zusammengehalten wird? Dann könnte man von einem dialektischen Prozess sprechen, in dem die kreative Leistungen als Synthese die Vertreibung als Antithese enthält.

Dann könnte die heutige Vertreibungspolitik Israels, die inzwischen weltweit auf Ablehnung stößt, in absehbare Zeit zu einer erneuten Vertreibung der Juden aus Israel führen. Dann wäre die heutige Politik Israels getragen von dem unbewusstem Wunsch vertrieben zu werden, um erneut weltweit Kreativität zu entfalten und Humanität zu vertreten.

Prof. Dr. med. Alfred Drees

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