Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

03.08.2001   13:05   +Feedback

Die Privatisierung des Holocaust

Plakat: "den holocaust hat es nie gegeben"

oder: Schreiben Sie mir auf mein Konto

Wenn es um Juden geht, setzt bei vielen Zeitgenossen der Verstand aus. Geht es um den Holocaust, fangen sie mit dem Denken gar nicht erst an. “Ein einzigartiges Ereignis wie der Holocaust muss einzigartig vermittelt werden”, sagt Lea Rosh und merkt nicht, was sie sagt. Wie einzigartig darf die Vermittlung denn sein? Wie wäre es mit einer kleinen Wiederauflage der “Kristallnacht”? Jedes Jahr am 9. November marschiert eine Truppe von Kostümnazis unter der Führung von Fähnleinführer Christoph Schlingensief durch Berlin, zerdeppert ein paar Scheiben im KaDeWe und verhaut ein paar Passanten, die nicht schnell genug den Arm zum deutschen Gruß heben. Wär doch echt einzigartig und ein Beitrag zur Bewusstseinsbildung, oder?

Wo die “Einzigartigkeit” zum entscheidenden Kriterium wird, verschwinden die Grenzen zwischen Sinn und Unsinn und am Ende der moralischen Zielgeraden ist es “der Zweck, der die Mittel heiligt”. Diesen unsäglichen Satz soll auch Alexander Brenner, Vorsitzender der jüdischen Gemeinde, gesagt haben, als er nach seiner Meinung zu dem Holocaust-Plakat am Pariser Platz gefragt wurde. Brenner, der Erfahrungen mit zwei Diktaturen machen musste, die ihre Verbrechen mit eben diesem Anspruch rechtfertigten, sollte es besser wissen. Im Talmud ist die Rede von “Zedek wa Zedek”, von der Gerechtigkeit und der Gerechtigkeit, die der Mittel und die der Ziele, ohne die eine kann es die andere nicht geben.

Im vorliegenden Fall gilt weder der Satz von dem Zweck, der die Mittel heiligt, noch von der Einzigartigkeit des Holocaust, die nach einer Einzigartigkeit der Vermittlung verlangt. Es geht um etwas viel einfacheres, banaleres und menschlicheres: Wichtigtuerei. Eine Attitüde, die Lea Rosh immer wieder ihren Kritikern vorwirft, die sich mit Kritik an ihr ins Gespräch bringen wollen, ohne zu merken, dass es ihre ureigene Triebfeder ist, mit der sie um einen Platz an der Rampe auf der deutschen Freilichtbühne kämpft. Und um einen Eintrag in das Guiness Buch der Rekorde für eine wirklich einzigartige Leistung: Wie man ein absurdes Projekt mit absurden Mitteln im Gerede hält.

Das Holocaust-Mahnmal, um das Lea Rosh seit inzwischen 12 Jahren kämpft, wird gebaut werden, obwohl alle Beteiligten wissen, dass es keinem anderen Zweck dient, als dem Ehrgeiz seiner Promoter ein Denkmal zu setzen. Der zweite Grund, der inzwischen an erster Stelle genannt wird, lautet: Wie stünden wir da, wenn wir das Projekt jetzt aufgeben würden? Wir wären blamiert, das Ansehen der Bundesrepublik beschädigt. Ja, Ausdauer und Konsequenz waren schon immer deutsche Tugenden, bei der Organisation des Holocaust wie bei der Durchsetzung des Holocaust-Mahnmals. In der US-TV-Serie gleichen Namens aus dem Jahre 1979 unterhalten sich zwei NS-Funktionsträger darüber, ob es nicht besser wäre, die “Endlösung” abzubrechen, sie binde zu viele Kräfte, blockiere zu viele Transportmittel, die für den Fronteinsatz gebraucht würden. Dafür sei es zu spät, das können wir uns jetzt nicht mehr leisten, sagt der andere sinngemäß, dann würden wir ja zugeben, dass wir einen Fehler begangen haben. Denn: im historischen Kontext ist ein Fehler schlimmer als ein Verbrechen.

Nun sollen die Deutschen mit dem Satz “den Holocaust hat es nie gegeben” aufgerüttelt werden, um für ein Projekt zu spenden, das ohnehin aus öffentlichen Mittel voll finanziert wird. Eine Million hat Reichskassenwart Lea Rosh schon zusammen, fünf sollen es werden, und weil der Zweck die Mittel heiligt, werden Missverständnisse billigend in Kauf genommen. Es ist wie bei den Antifas, die sich Hakenkreuze auf ihre Bomberjacken malen, so dass man sie bei beim Häuserkampf kaum von den Neonazis unterscheiden kann. Es ist freilich unwichtig, ob der Satz auf dem Plakat von Passanten missverstanden werden könnte, weil sie im Vorbeigehen das Kleingedruckte nicht mitbekommen. Auch fünfhundert Jahre nach Kopernikus gibt es irgendwo noch ein paar Irre, welche die Erde für eine Scheibe halten. Es spielt ebenso keine Rolle, ob Überlebende des Holocaust sich verletzt fühlen könnten. Auch das kann, sorry, kein Maßstab sein. Einige waren gekränkt, als Joshua Sobols Stück “Ghetto” aufgeführt wurde, anderen fanden Radu Mihaileanus schwarze Komödie “Der Zug des Lebens” unzumutbar. Ein Glück, dass sie sich in keinem Fall durchsetzen konnten. Der öffentliche Raum ist keine Ambulanz, in der Verletzte behandelt werden.

Der Satz “den holocaust hat es nie gegeben”, sagt der Regierende Bürgermeister, soll “eine Provokation” sein, und: “Eine Provokation befördert die Diskussion”. Super, warum gehen die Provokateure nicht gleich einen Schritt weiter und schreiben: “Die Juden haben den Deutschen den Krieg erklärt” oder “In Auschwitz wurde nur entlaust”. Sind doch auch zwei populäre Parolen der Revisionisten. Wowereit, dem es egal ist, ob er vor dem Holocaust-Plakat oder auf der Love Parade den Kasper macht, möchte durch die Provokation eine Diskussion befördern. Worüber, lieber Klaus? Ob es den Holocaust gegeben hat oder wie man und frau eine dicke Lippe riskiert? Die Provokation ist keine, und eine Diskussion über die Nachwehen des Holocaust findet schon lange statt. Ob Frau Rosh und Herr Wowereit es gut heißen oder nicht.

Eva Menasse spricht in der FAZ von einer “autoritären Pädagogik” und vom “Gesinnungsterror” der Trommler, die den Holocaust zu einem “Spielball” der Werbung machen. Es ist noch ärger. Der Holocaust wird privatisiert, wie das Brandenburger Tor, ob es ihn gegeben hat oder nicht, wird eine Frage des Glaubens, und diejenigen, die eine solche Diskussion “befördern”, bieten sich zugleich als Retter in der Not an.

Angeblich hat eine Werbeagentur an dem Text “lange gefeilt”. Herausgekommen ist eine Behauptung, die weder neu noch provokativ ist (“den holocaust hat es nie gegeben”) und eine idiotische Erklärung, die niemand überzeugen wird: “Es gibt immer noch viele, die das behaupten. In 2o Jahren könnten es noch mehr sein. Spenden Sie deshalb für das Denkmal….”

Wie viele Deutsche in 2o Jahren glauben werden, den H. habe es nie gegeben, ist eine frivole Überlegung, die nur so tut, als ginge es ihr um die Wahrheit in der der Geschichte. Es könnte sein, dass in 2o Jahren viel weniger Deutsche als heute glauben werden, den H. habe es nie gegeben, weil viel mehr Deutsche als heute sich nicht mehr schuldig und verantwortlich fühlen werden. Unabhängig davon wird ein Mahnmal, das heute gebaut wird, in 2o Jahren keinen Zweifler von seinen Zweifeln abbringen. Ob das Mahnmal gebaut wird oder nicht, spielt für den Prozess des Aufklärens wie des Vergessens keine Rolle.

Die Privatisierung des Holocaust ist nicht aufzuhalten.: Die einen “glauben” oder “behaupten”, es habe ihn nie gegeben, die anderen “glauben” oder “behaupten” das Gegenteil. Und dazwischen betreibt Lea Rosh mit ihrer Initiative einen kleinen Ablasshandel. Wer eine o19o-Nummer anruft, bekommt 5,- Mark vom Konto abgebucht und kann, wie bei der Aktion Sorgenkind, das Gefühl genießen, etwas Gutes getan zu haben. Wenn nicht genug Spenden zusammen kommen, so suggeriert es das Plakat, könnten die Leugner in 2o Jahren in der Mehrheit sein.

Es geht, wie schon bei Billy Graham und Pater Leppich, um die Seelen, das Heil und die Verdammnis. Es geht nicht um Tatsachen, sondern um Glaubensfragen. Ob es den Holocaust gegeben hat oder nicht, hängt am Ende davon ab, wie viel Geld für das Mahnmal gespendet wurde.

“Schreiben Sie mir”, hat Wolfgang Neuß am Ende seiner Show immer gebeten, “schreiben Sie mir auf mein Konto”.

HMB, 3.8.2oo1

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