Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

06.02.2000   12:03   +Feedback

Der Schmock der Woche: Leander Haußmann

Leander HaußmannTheatermann, Experte für exotische Erotik und Liebhaber übersichtlicher Verhältnisse

Aus der DDR kommen nicht nur Burger Knäcke, Bautzener Senf und Nordhäuser Doppelkorn, also ganz ordentliche Konsumartikel, sondern auch Knallchargen wie Daniela Dahn, Harry Thürk und Käthe Reichel. Sie haben die Wende unbeschadet überstanden und einen Riesenspaß daran, sich als Opfer der Geschichte darzustellen. Daniela Dahn zum Beispiel wollte unbedingt

Schmocks Imbisshütte

Verfassungsrichterin in Brandenburg werden und war maßlos beleidigt, als ihr dieser Wunsch nicht erfüllt wurde. Käthe Reichel gab aus Protest gegen die Schließung des Berliner Schiller-Theaters ihr Bundesverdienstkreuz, das ihr versehentlich verliehen worden war, zurück, indem sie es sich vom Hals riss und in die demonstrierende Menge warf. Auch Harry Thürk, der Bestseller am Fließband produziert, die vor allem im Osten geschätzt werden, liebt dramatische Gesten, seine Bücher tragen Titel wie: “Sommer der toten Träume” und “Die Stunde der toten Augen”.

Gemeinsam mit Nervensägen wie Regine Hildebrandt, Friedrich Schorlemmer und Peter-Michael Diestel sorgen sie dafür, dass die Erinnerungen an die DDR um so schöner werden, je länger die Republik der Bummelanten, Simulanten und Mutanten nicht mehr existiert. Es ist wie mit dem Opa, der die ganze Familie terrorisierte: seit er tot ist, entdecken die Hinterbliebenen immer mehr gute Züge an ihm. Vor allem, dass er ihnen sagte, was sie tun müssen und nicht tun dürfen und dass er sie liebevoll dafür abstrafte, wenn sie ihm nicht gehorchten.

Jetzt ist auch ein an sich sympathischer Typ dem Club der toten Seelen beigetreten, einer, der bei der Wende grade 3o Jahre alt und der noch immer in Parchim spielen und in Weimar inszenieren würde, wenn er nicht mit der Wende eine Karriere im Westen begonnen hätte. Leander Haußmann, 1959 in Quedlinburg geboren, wurde 1995 mit sechsunddreißig Jahren in Bochum Deutschlands jüngster Theaterintendant. Und da führte er sich, sagen ehemalige Kollegen, wie eine Mischung “aus Herrgott und Hausmeister” auf, was ihm nur deswegen nicht übel genommen wurde, weil gute Intendanten so sein müssen.

Inzwischen lebt Haußmann in Berlin. Zuletzt schaffte er es bis auf die Titelseite der B.Z. (“Berlins größte Zeitung”), nachdem ihn ein paar besoffene Jugendliche im Prenzlauer Berg zusammengeschlagen hatten, nur weil Haußmanns schwarzer Pudel “Kalle” sie angebellt hatte. Der Hund blieb unverletzt, Haußmann musste im Krankenhaus behandelt werden. Ein halbes Jahr danach sind die Wunden verheilt, aber ein Trauma ist geblieben. Denn Haußmann spricht plötzlich liebevoll über den Osten, als wollte er durch vorsorgliche Unterwerfung weiteren Überfällen zuvorkommen. Dem Tagesspiegel sagte er: “Die DDR hatte eine absolut exotische Erotik. Es war eine 17-Millionen-WG… Die Mauer hat uns doch nicht die Freiheit genommen, so ein Quatsch.” Und in einem Interview mit der taz sehnte er sich nach der Erotik der Kargheit zurück, die das Leben in der DDR bestimmt hatte: “Bei mir um die Ecke gibt’s einen Laden, der bietet regionale Produkte an. Ich bin erleichtert, mich nur zwischen zwei Käsesorten entscheiden zu müssen. Das ist wahrscheinlich die Sehnsucht nach Übersichtlichkeit. Ich bin schon am irrsinnig werden, weil ich dauernd Angst habe, dass ich mein Leben nicht geordnet kriege. Insofern hatte die Diktatur natürlich etwas. Man fühlte sich geborgen, so wie Gefangene auch ins Gefängnis zurück wollen.” Das ist alles total bescheuert, aber systemimmanent ist es vollkommen richtig. Die exotische Erotik einer 17-Millionen-WG, deren Bewohner bei dem Versuch, unerlaubt das Haus zu verlassen, ihr Leben riskierten, lag vor allem darin, dass Sex unter Sklaven bzw. Gefangenen die Sinne antörnt. Diesem Umstand verdanken sowohl große Werke der Weltliteratur (“Onkel Toms Hütte”) wie auch etliche RTL-Produktionen (“Im Frauenknast”, “Die Camper”) ihren großen Erfolg. Die DDR war nicht nur eine 17-Millionen-WG, sondern zumindest im intellektuellen Milieu auch eine Peep-Show, deren Besucher mit auf die Matratze durften. Noch heute schwärmen westdeutsche Lusttouristen von den geilen Nächten in Ostberlin, deren Höhepunkt darin lag, dass man im Nachthemd oder Pyjama zur Grenzübergangsstelle rasen musste, um vor Ablauf des Besuchervisums mitten in der Nacht auszureisen und auf der Stelle wieder neu einzureisen, damit das erotische Abenteuer zu einem organischen Abschluss gebracht werden konnte. Seitdem hat es nie wieder so viel exotische Erotik im Leben der Ost- und Westberliner Bürger gegeben.

Auch Haußmanns zweiter Punkt, die Sehnsucht nach der Übersichtlichkeit, trifft die ostdeutsche Seele mitten in das blutende Herz. Endlich sagt es einer, was die Osts so irre macht. Nicht die Arbeitslosigkeit, die Sanierung der Plattenbauten oder der frühe Tod von Helga Hahnemann, sondern die Not, sich täglich zwischen unendlich vielen Käsesorten entscheiden zu müssen, wo es früher nur die Auswahl zwischen dem Käse-“Allerlei” aus dem VEB Käsewerk Vahldorf und dem “Chester-Schmelzkäse” aus der VEB Käsefabrik in Blievenstorf-Mecklenburg gab. Ja, die Diktatur hatte was. Während die Menschen heute nicht nur vollkommen ratlos vor der Käsetheke bei Reichelt stehen, sondern die gleichen Symptome auch im Reisebüro und im Wahllokal zeigen. Wie soll man sich zwischen den vielen Angeboten entscheiden? Wohin soll man fahren? Welchen Kandidaten soll man wählen? Früher war doch alles so übersichtlich. Der Betrieb schickte einen entweder nach Nienhagen an der Ostsee oder nach Bad Schandau in der Sächsischen Schweiz, und die Partei bereitete den Wahlzettel so vor, dass man ihn nur noch falzen und abgeben musste. Das Blöde ist nur, dass Haußmann gar nicht weiß, wie sehr er recht hat. Er ist nicht auf eine naive Weise klug, sondern auf eine dumme Art naiv.

Eben hat er “Die Legende von Paul und Paula” an der Volksbühne inszeniert (“Was hat dieser Heimatabend Längen…, dieses Ostberliner Krippenspiel…, ein Kessel Buntes, in der Mikrowelle aufgewärmt…” - Rüdiger Schaper im Tagesspiegel), er bereitet jetzt einen Film über die NVA der DDR vor. Der wird bestimmt noch lustiger werden, vor allem wenn er das Drehbuch von Harry Thürk schreiben lässt, die weibliche Hauptrolle mit Käthe Reichel besetzt, Daniela Dahn als Beraterin und Egon Krenz als Produktionsleiter verpflichtet. Mit den Dreharbeiten soll in ein bis zwei Jahren begonnen werden. Bis dahin braucht Leander Haußmann etwas, woran er sich innerlich festhalten kann, um nicht irre zu werden an der Unübersichtlichkeit der Welt. Der Schmock der Woche wird ihm dabei helfen.

6.2.2000

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