Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

25.11.2006   13:00   +Feedback

Boston Tea Party - 3

Ich lernte Helen Epstein bei einem Treffen jüdischer Singles im Jahre 1982 in Davos kennen. Irgendeine jüdische Organisationen, die sich Sorgen um die Zukunft des jüdischen Volkes machte, brachte jüdische Prinzen und Prinzessinnen unter irgendeinem Vorwand zusammen. Wenn ich mich nicht täusche, hieß das Ganze „Kulturkongress“ oder „Kulturwochenende“, aber jeder Teilnehmer wusste, was es wirklich war: Eine Partnerbörse.
Damit es nach mehr aussah, wurden auch „Referenten“ eingeladen, die Vorträge über jüdische Identität hielten. Ich wurde aus Jerusalem eingeflogen. Mir war’s recht, ich war vorher noch nie in Davos gewesen, nachher auch nicht.
Helen Epsteins erstes Buch „Children of the Holocaust“ war drei Jahre zuvor erschienen, die deutsche Ausgabe – „Die Kinder des Holocaust – Gespräche mit Söhnen und Töchtern von Überlebenden“  - sollte erst 1987 erscheinen. Sie hatte keine Ahnung, dass sie einen Begriff kreiert hatte, der eine ganze Generation prägen sollte.
In Davos war auch ein junger französischer Jude dabei, Patrick Mehr.
Gleich am ersten Tag hatte es zwischen Helen und Patrick gefunkt.
Ich glaube nicht, dass sie noch Referate über jüdische Identität besuchten, für sie hatte der „Kulturkongress“ seinen Zweck erfüllt.
Vierundzwanzig Jahre später bin ich bei Helen und Patrick in ihrem Haus in Lexington bei Boston. Sie haben zwei Söhne, Sam und Daniel, 21 und 19 Jahre alt. Der eine studiert „Engineering“, der andere Musik an einem Konservatorium. Ihr Mann hat eine eigene Firma für Unternehmensberatung. Beide fahren einen Toyota Prius, nicht um Geld zu sparen, sondern „um Amerikas Abhängigkeit von arabischem Öl zu beenden“. Ginge es nach ihm, sagt Patrick, „sollte eine Gallone Benzin zehn Dollar kosten“, damit die Amerikaner endlich aufhören, Energie zu vergeuden.
Helen, 1947 in Prag geboren, kam mit ihren Eltern schon 1948 nach Amerika. Da daheim Tschechisch gesprochen wurde, kann sie die Sprache noch immer. Ihr Vater war ein Athlet, 1936 nahm er an den Olympischen Spielen in Berlin teil, als Mitglied der tschechoslowakischen Wasserballmannschaft. In den USA war er lange arbeitslos, die Mutter musste die Familie als Näherin ernähren. Die Epsteins hatten nur Umgang mit anderen Einwanderern aus der Tschechoslowakei, man lebte in einer Parallelgesellschaft mitten in Manhattan. Helen studierte Musikgeschichte, irgendwann fing sie an zu schreiben. Ihre Bücher wurden in ein Dutzend Sprachen übersetzt, sie füllen ein ganzes Regal in ihrem „Office“. Seit vier Jahren arbeitet sie an einem neuen Buch, über ihre Kindheit in New York. Demnächst fährt sie nach Krakau, um dort einen Vortrag über „Leben vor und nach dem Holocaust“ zu halten. Die Mutter und der Vater sind lange tot, nächstes Jahr wird sie 6o, aber sie ist noch immer eine Tochter ihrer Eltern - und ein Kind des Holocaust.

 

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