Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

31.12.2006   02:09   +Feedback

No Pain, No Gain - Saddam läßt sich hängen

Der letzte Volksgenosse, den ich vor meinem Rückflug nach Washington traf, war der Chefkoch des Hotels, in dem ich übernachtete. Ich saß in der Lobby und erledigte meine mails, er setzte sich zu mir und wurde sogleich intim. Wenn es nach ihm ginge, wenn er nur könnte, wie er wollte, würde er Angela Merkel erschießen, und zwar ohne eine Sekunde zu zögern. Peng, peng. Weil ich von Natur aus höflich und entgegekommend bin, fragte ich ihn, warum er Angela Merkel erschießen möchte, was sie ihm denn angetan habe. “Sie hat die Mehrwertsteuer erhöht”, antwortete der Mann.
Es war schon spät, und ich hatte keine Lust auf eine Diskussion über Fragen von grundsätzlicher Bedeutung. Also murmelte ich so etwas wie: “Damit machen Sie die Erhöhung der Mehrwertsteuer auch nicht rückgängig” und ging auf mein Zimmer.
Heute nachmittag kaufte ich zwei Modellautos bei “Cars and Crafts TO GO” in Colonial Beach.  Der Laden gehört Peggy, sie sitzt an der Kasse und plaudert mit ihren Kunden über alles, das in der Welt passiert. Heute war es die Hinrichtung von Saddam. “I am so glad they did it”, sagte sie. Aber wenn es nach ihr gegangen wäre, wenn sie etwas zu sagen gehabt hätte, wäre Saddam zuerst verbrannt, dann erschossen und erst am Ende gehängt worden. “He deserved it.”
Es tut gut, mit Menschen zu tun zu haben, die geradeaus denken und zwischen Gut und Böse unterscheiden können. Und deren primäre Instinkte nicht erst bei der Erhöhung der MWSt erwachen, sondern schon dann, wenn es um Gerechtigkeit, Strafe und - jawoll! - Vergeltung geht. Die europäischen Reaktionen auf den Tod von Saddam Hussein sind so hanebüchen wie es das Verhalten der Europäer gegenüber Gewalt überhaupt ist. Dieselben Knalltüten, die jedem “Selbsmordtattentäter” edle Motive unterstellen und allenfalls die Folgen seiner Tat fragwürdig finden, die angesichts von drei bis vier Millionen Toten im Kongo und vierhunderttausend Toten in Darfur kein Unbehagen empfinden, aber am Al-Kuds-Tag das “Ende der zionistischen Besatzung Palästinas” fordern, dieselben Knalltüten bekommen weiche Kniee, wenn sie daran denken, was Saddam Hussein erleiden mußte. Und fangen an zu phantasieren: Über die grundsätzliche Unzulässigkeit der Todesstrafe und über die Chancen, die durch die Hinrichtung Saddams vertan wurden.
Wenn es die taz-Leser tun, kann man die Reaktionen als normal hinnehmen. Aber es sind eben nicht nur die Leser des Zentralorgans des deutschen Infantilismus, die mit Unbehagen, Abscheu und verhaltener Erregung auf die Nachricht vom unfreiwilligen Ableben eines Massenmörders reagieren. Andere tuns auch. Zum Beispiel Martin Schulz, Mitglied der Europäischen Parlaments und dortselbst Vorsitzender der Sozialistischen Fraktion. Schulz, nicht verwandt und nicht verschwägert mit dem gleichnamigen Charakter in Ernst Lubitschs “Sein oder Nichtsein”, wurde kurz über die engen Grenzen von Brüssel (oder war es Straßburg?) berühmt, als er sich einen Wortwechsel mit Silvio Berlusconi lieferte. Nun gab er dem DeutschlandRadio ein Interview, in dem er erklärte, warum Saddam nicht hätte hingerichtet werden sollen:

http://ondemand-mp3.dradio.de/podcast/2006/12/30/dlf_200612300722.mp3

Wow! Die Hinrichtung war ein “staatlich sanktionierter Mord”, eine Begnadigung dagegen wäre “ein Signal der Versöhnung” gewesen. Sagt Martin Schulz, der allein durch seine Immunität als MeP davor bewahrt wird, wegen Dummschwätzerei angeklagt zu werden. In einem Punkt freilich hat Schulz Recht - falls er es so gemeint hat. Der Tod war eine viel zu milde Strafe für Saddam. Die angemessene Strafe wäre es gewesen, ihn nach Brüssel bzw. Straßburg zu bringen und ihm jeden Tag die Reden von Martin Schulz vorzuspielen, vorwärts und rückwärts. So lange, bis auf Antrag von amnesty international, Human Rights Watch und Claudia Roth der europäische Gerichtshof für Menschenrechte aktiv geworden wäre. Denn Strafe muss, aber sie darf nicht unnötig grausam sein.

Siehe auch:

Mario Loyola:
Justice for Saddam, Precedent for the Future
http://shortlink.co.uk/i1k

Clemens Wergin:
Man kann gegen die Todesstrafe sein und dennoch kein Mitleid mit Iraks Diktator haben
http://www.tagesspiegel.de/meinung/archiv/30.12.2006/2993337.asp
Saddam ist tot
http://blog.tagesspiegel.de/flatworld/eintrag.php?id=320#trackback

Celebrating Justice…
http://iraqthemodel.blogspot.com/2006/12/celebrating-justice.html

Curriculum vitae:
http://www.timesonline.co.uk/article/0,,3-2523974,00.html

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