Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

14.03.2007   23:38   +Feedback

Beim Emir von Qatar

Einen Moment lang wollte ich aus der Warteschlange treten und wieder nach Hause fahren. Denn vor mir checkte Rolf Eden ein, in Begleitung einer sehr blonden Enkelin. Aber der Airbus A 3oo war groß genug für uns beide. Ich saß vorne in der Business Class und schlürfte Dom Perignon, Eden saß hinten bei den Touris, knabberte Kracker und hielt Händchen.

Das letzte, das ich von Deutschland mitbekam, bevor ich in meinen üblichen Tiefschlaf in 1o.ooo m Höhe fiel, waren zwei Artikel in der FAZ. In dem einen ging es darum, was derzeit alles in Deutschland verboten werden soll, von der Glühbrine über Osterflohmärkte bis zum Rauchen im eigenen Auto. In dem anderen ging Regine Mönch der Frage nach, “warum viele junge Libanesen in Berlin Gewalttäter sind”.  Unter anderem deswegen: ““Islamistische Vereine haben diese Gemeinschaft längst in der Hand, und die Männer befestigen ihre Herrschaft immer mehr mit dem Islam. In den Koranschulen lernen die Kinder ihre Muttersprache Arabisch und alles, was der Imam für richtig hält. Das Wertesystem wird von der Scharia diktiert, nicht vom Grundgesetz… Säkulare Projekte, die zum Beispiel die Frauen der arabischen Kurden aufklärten, wurden aus Geldmangel eingestellt. Jugendarbeit, Frauenarbeit - alles kommt heute aus der Moschee.”

Es war einer jener islamophoben Texte, wie man sie derzeit immer öfter lesen kann, sogar in seriösen Zeitungen wie der FAZ. Statt die Gesellschaft verantwortlich zu machen, werden die Jugendlichen mit Migrationshintergrund an den Pranger gestellt, die sich nur dagegen wehren, ausgegrenzt und diskriminiert zu werden.  Und wenn sie dann auch noch in der FAZ lesen müssen, dass sie ihre “Integrationsdefizite” verarbeiten, indem sie ein “Überlegenheitgefühl” entwickeln, “das sich aus dem Islam speist” - kann man es ihnen dann noch verübeln, dass sie ausrasten und dem Nächstenbesten die Fresse polieren müssen?

Als ich aufwachte, lag die “Qatar Tribune” neben mir, auf Englisch und Hochglanzpapier gedruckt. Der Aufmacher war ein Bericht über eine UNESCO-Konferenz, die am Montag in Qatar stattgfeunden hatte: “Literacy is key to progress”. Der Kampf gegen das Analphabetentum, so hatte es Her Higness Sheikha Mozah, die Frau des Emirs, zu Beginn der Konferenz gesagt, sei so wichtig wie der Kampf gegen AIDS.

Weiter hinten in der “Qatar Tribune” gab es noch mehr interessante Artikel. Qatar wolle 1o% von EADS kaufen, die u.a. den Airbus herstellt; in Doha, der Hauptstadt des Emirats, habe Hennes & Mauritz soeben seine erste Filiale aufgemacht; in einem Beitrag über den Nahostkonflikt (“Israel open to Arab peace plan”) war immer nur von “Israel” die Rede, nicht vom “Judenstaat” oder “zionistischem Gebilde”. Dann las ich noch einen Artikel über den ägyptischen Blogger Abdel Karim Suleiman, der wegen Beleidigung der Religion und Verunglimpfung des Präsidenten von einem Gericht in Alexandria zu vier Jahren Gefängnis verurteilt wurde. “Qatar Times” zitierte den Anwalt des Bloggers (“The verdict was not handed down on the basis of the law, it is a religious verdict similar to those of the inqusition)”; damit nicht genug, wurden auch die Stellen aus dem Blog zitiert, die zu der Verurteilung geführt haben.

Qatar, seit 1971 unabhängig, 11.4oo qkm groß, 8oo.ooo Einwohner, davon 2oo.ooo Qataris und 6oo.ooo Migranten, ist eine konstitutionelle Monarchie mit liberal-absolutistischen Zügen. Die Verfassung aus dem Jahre 2oo3 (seit 2oo5 in Kraft) garantiert das Recht auf Meinungs-, Religions- und Versammlungsfreiheit, eine unabhängige Justiz und Gleichheit vor dem Gesetz.  Allerdings gibt es keine Parteien und kein Parlament, nur eine “Beratende Versammlung”  mit 45 Mitgliedern, von denen 30 gewählt und 15 vom Emir ernannt werden. Frauen haben seit den Gemeindewahlen von 2ooo das aktive und passive Wahlrecht. Qatar hat das höchste Pro-Kopf-Einkommen der Welt und keine Einkommensteuer. 

 

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