Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

18.02.2007   01:03   +Feedback

Teatime mit Teddy, Gulaschsuppe mit Gesine

Basel wäre eine Alternative zu Berlin. Klein, überschaubar und großartig organisiert. Die Zeit, die ich in Berlin im Auto verbringe, könnte ich in Basel im Cafe absitzen. Morgens in der „Brötli-Bar“, mittags in der „Bodega Strauss“, nachmittags im „Schiesser“ und abends im Restaurant Zum braunen Mutz. Und zwischendurch im „Grand Cafe Huguenin“ und im Tearoom von „Les Trois Rois“, wo schon Herzl beim ersten Baseler Kongress vor 110 jahren logiert hat. Die Zimmer im Les Trois Rois fangen bei 35o.- Franken an, im Zimmerpreis inbegriffen ist das Mobility-Ticket zur freien Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel in Basel, das Frühstück kostet 4o.- Franken extra.
Mir ist alles recht, ich will das Zimmer haben, in dem Herzl gewohnt hat. Es sei leider schon vergeben, sagt die junge Frau an der Rezeption. Ob ich wenigstens mal reingucken könnte? Das ginge auch nicht, meint die Rezeptionistin, das Zimmer sei ja belegt. Und warum nicht wenigstens eine kleine Plakette in der Lobby daran erinnern würde, dass Herzl hier mal logiert hat? Das wisse sie auch nicht, sagt die junge Frau.
Also setze ich mich in den Tearoom, bestelle eine Kanne Darjeeling, schaue über den Rhein, klappe meinen Laptop auf, logge mich bei der Swisscom ein (3o Minuten/5.- Franken) und schicke eine mail an Herzl: „Schalom Teddy! Du hast nicht nur politischen Weitblick sondern auch guten Geschmack gehabt. Das Les Trois Rois ist herrlich! Ich wollte mir gerne Dein Zimmer ansehen, aber man hat es mir nicht erlaubt. Sei so nett und leg nächstes Mal ein gutes Wort für mich ein. Und gräme dich nicht, was derzeit über dich geschrieben wird.  Alfred Grosser, Tony Judt, Norman Finkelstein und Noam Chomsky würde man im Les Trois Rois nicht mal die Toiletten benutzen lassen. Du aber hast hier gewohnt und getafelt.“
Der Pianist spielt „As Time Goes By“, ich strecke mich auf dem Sofa aus und nappe ein paar Minuten, dann mach ich mich auf den Weg ins Literaturhaus, wo Alain Claude Sulzer sein neues Buch vorstellt, die „Vorlesungen über die Esskunst“ von Antonius Anthus. 1838 zum ersten Mal erschienen, ist es eine Kulturgeschichte des Essens und eine Anleitung für den Gebrauch der Sinne im Dienste des Geschmacks.
Mit Sulzer sitzen auf dem Podium Wolfram Siebeck (Die Zeit), Tilman Krause (Die Welt) und Eva Gesine Baur (Lea Singer).
Siebeck ist ein alter Grantler und findet alles schlecht, was nicht von ihm ist. Er sagt Sätze wie „Die Deutschen wollen die Feinschmeckerei verordnet kriegen…“ und „Preußische Tugenden sind antikulinarisch“. Ich warte nur darauf, dass er sagt: „Der Eintopf ist die Grundlage des Faschismus“, aber so weit traut er sich doch nicht. Sulzer berichtet von einem Schriftsteller, der stolz darauf ist, „sich jeden Tag eine Knorr-Suppe zu kochen“, worauf ein Raunen durch das Publikum geht, als hätte Siebeck statt einer Knoblauchzehe versehentlich eine Trüffel zerquetscht. Krause fasst die Diskussion nach etwa einer Stunde in dem Satz zusammen: „Besser zu viel als zu wenig essen“ und stellt die Frage, ob man beim Essen „über das Essen sprechen soll, das einem vorgesetzt wird“.
„Auf keinen Fall!“ ruft Eva Gesine Baur. „Über Essen reden, das ist wie Filme nacherzählen“. Noch ärger wären nur „Geschäftsessen“ – „eine der infamsten Erfindungen aller Zeiten“, schlimmer noch als Tütensuppen, gefüllte Oliven und Eierlikör von Verpoorten. Essfeindlichkeit, sagt sie, sei „eine Folge der Sexualfeindlichkeit“, ein Kochbuch so nutzlos wie eine Sexfibel: „Eine Frau, die sich ein Sexualkundebuch kauft, braucht kein Buch, sie braucht einen Mann.“
Eva Gesine Baur ist der Kracher des Abends - krawallig, witzig und schlagfertig. Ohne sie wäre die ganze Diskussion so aufregend wie der Presseclub mit Peter Voss. Während die Jungs sich gegeneinander positionieren, erzählt sie einfach Geschichten aus ihrer Küche. Das reicht. Außerdem sieht sie knallgut aus. Blond, netto 175 cm groß (ohne High Heels) und 53 Kilo schwer – der ultimative Tagtraum eines jeden Ghetto-Juden.
Später, bei Alain und Martin daheim, gibt es Gulaschsuppe, selbst gemachten Heringssalat, Käse aus Frankreich, Brot aus dem Elsass und Mousse. Eva Gesine Baur langt ordentlich zu. Zwischen Heringssalat und Mousse kommen wir noch einmal auf den Punkt zurück, ob man beim Essen über das Essen reden sollte. „Man kann ja auch beim Sex über Sex reden“, sage ich. „Aber niemals auf eine besserwisserische oder vergleichende Art“, sagt Eva Gesine Baur.
Die Frau ist eben eine echte Feinschmeckerin.

 

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