Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

29.05.2007   19:00   +Feedback

Ein dringendes Bedürfnis in Bad Boll

Was bei einer Tagung der Sekte “pax christi” in Bad Boll von ein paar delirierenden Rentnern beschlossen wird, ist für den Lauf der Geschichte so entscheidend wie die Frage, wo in China oder in Indien der sprichwörtliche Sack Reis umfällt.  Bemerkenswert ist nur die Neigung zum Größenwahn, wie man sie auch bei Ballermann-Besuchern findet, die in Karaoke-Kneipen Frank-Sinatra-Lieder singen. In Bad Boll ging es freilich nur darum, wie “deutsches Engagement im Israel-Palästina-Konflikt” aussehen sollte. da wurden “Forderungen an die Gesellschaft” und an die Politik erhoben, u.a. die, “Produkte aus Israel so lange nicht zu kaufen, bis die Besatzung beendet ist” und “das Geld an Israel einfrieren, so lange die Mauer gebaut wird”; die eine Forderung hat eine Vorgeschichte (“Deutsche weht Euch, kauft nicht beim Juden!”),  die andere könnte auch so interpretiert werden, dass man mit Geldüberweisungen nach Israel warten sollte, bis der Bau der Mauer vollendet ist.
Hier der komplette Forderungskatalog: http://www.paxchristi.de/fix/files/doc/Forderungen%20aus%20den%20Arbeitsgruppen.2.pdf

Aber damit ist die Geschichte noch nicht komplett. Ein “jüdischer Mitbürger” protestierte gegen die Boykott-Aufforderung und bekam daraufhin von einem Teilnehmer der Tagung ein Schreiben, in dem man alles findet, was zum Repertoire des unheilbar gesunden Gewissens gehört, bis hin zu der Behauptung, Maßnahmen gegen Israel würden dem Wohl und der Sicherheit der Israelis dienen. Und das war nicht einmal witzig gemeint. Hier der Trost-Brief im Wortlaut:

Sehr geehrter Herr Dr. Z.,

ich danke Ihnen, dass Sie mich über Ihren als Rundmail versandten
Brief an Uri Avneri informiert haben, und erlaube ich mir, als Teilnehmer
des Abschlusspodiums der Politiker zu Ihrem Vorwurf Stellung zu nehmen,
es habe sich um eine antisemitische Tagung gehandelt.

Richtig ist, dass auf dieser Tagung zum Teil sehr heftig an der
Besatzungspolitik Israels Kritik geübt wurde. Da ich Niemandens Motive dafür
untersuchen kann, lässt sich zwar nicht ausschließen, dass jemand
unter den Beteiligten diese Kritik aus einer antisemitischen Haltung
heraus geäußert oder ihr aus dieser Perspektive zugestimmt hat. Doch es
wäre fatal, müsste jede Kritik an Israels Politik und insbesondere an
seiner Besatzungspolitik unterbleiben, bloß weil ihr auch Antisemiten
zustimmen könnten.

Da ich als einziger der Politiker-Runde der Tagung auch schon am
Samstagnachmittag zugehört habe, möchte ich Sie an jene Passage des
Nachmittagsplenums erinnern, in der recht lebhaft über die Frage diskutiert
wurde, ob eine Forderung zulässig sei, keine israelischen Waren zu
kaufen, solange man nicht sicher sein könnte, dass diese nicht aus einer
der Siedlungen stammen. Die Diskussion zeigte, dass sich die
TeilnehmerInnen sehr wohl dessen bewusst waren, dass eine solche Forderung heikel
ist. Gleichwohl bestand bei einigen das Bedürfnis, nicht nur mit
Worten, sondern auch durch das eigene Verhalten der Kritik an der
Siedlungspolitik Ausdruck zu verleihen. Unter anderem kam in diesem Zusammenhang
der Vorschlag, es solle darüber informiert werden, was eventuell in
den Siedlungen produziert werde und dann müsse jeder sein Kaufverhalten
nach eigenem moralischen Empfinden ausrichten. Mir zeigte diese
Diskussion durchaus das von mir geteilte Problembewusstsein, nicht als
antisemitisch vereinnahmt werden zu wollen.

Wenn dann aus einer von sechs im Anschluss an dieses Plenum
zusammengekommenen Gruppen der von Ihnen monierte Satz als Forderung an die
Gesellschaft für die Politiker-Runde aufgeschrieben wurde, lässt dies zwar
vermuten, dass dort die vorangegangene Sensibilität nicht zum Tragen
kam. Doch ich finde es auch nicht sensibel, darum den Stab über die
ganze Tagung und ihre Veranstalter zu brechen.

Ich würde zwar die Forderung, Produkte aus Israel so lange nicht zu
kaufen, bis die Besatzung beendet ist, nicht unterschreiben, weil sie
einzelne Produzenten und ihre Mitarbeiter, aber nicht die für die Lage
verantwortliche Regierung Israels trifft. Doch sie ist um Welten von der
von Ihnen damit in Beziehung gesetzten Naziaufforderung *Kauft nicht
bei Juden!” entfernt: Ging es den Nazis bekanntermaßen darum, auf diese
Weise den Juden die Existenzgrundlage zu nehmen, so geht es dem auf die
Dauer der Besatzung befristeten Boykottaufruf darum, dazu beizutragen,
ein vom Staat Israel seit 40 Jahren praktiziertes Unrecht so schnell
wie möglich zu beenden, nicht zuletzt, weil es im Gegenzug in der Form
zweier Intifadas und zahlloser Selbstmordattentate unglaublich großes
Unheil über die Menschen in Israel gebracht hat. Wer also die Regierung
Israels davon abbringen will, dem eigenen Volk immer wieder durch eine
den Weg zum Frieden verbauende Politik zu schaden, mag hier zwar ein
falsches Mittel vorgeschlagen haben, ihm aber Antisemitismus zu
unterstellen, halte ich schlichtweg für absurd.

Mit freundlichen Grüßen
XY

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