Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

01.09.2007   14:48   +Feedback

Das ist nicht mein Israel (6)

Zwei Wochen lang hab ich keine deutschen Nachrichten gesehen, und ich habe nix vermisst. Weil Gad aber Kabel hat, kam ich schon etwas früher zum Abendessen. Während er in der Küche werkelte, schaute ich mir „heute“ an. Die Topmeldung war: Es gibt „gravierende Missstände“ in der Altenpflege. Ein Fachmann klagte über „strukturelle Mängel“ und Renate Schmidt forderte „mehr Transparenz“.

Danach folgte ein Bericht über den bayerischen „Ekelfleischskandal“, mit einer Oberstaatsanwältin, die wie ein Dönerspiess mit Brille aussah, und Verbraucherschutzminister Seehofer. Ohne jede Verbindung zum Thema zoomte die Kamera auf die Hände des Ministers und blieb in Nahaufnahme auf dem Ehering stehen.  Hatte er mit diesen Händen im Ekelfleisch gewühlt?

Thema Nr. drei war der Besuch der Kanzlerin in Kyoto, zehn Jahre nachdem sie als deutsche Umweltministerin an der Konferenz teilgenommen hatte, die mit dem berühmten Kyoto-Protokoll endete. Jetzt forderte Merkel „neue, klare und verbindliche Richtlinien für den CO2-Ausstoss“. Bin schon gespannt, was sie im Jahre 2o17 sagen wird, wenn sie Kyoto zum dritten Mal besucht.

Erst an vierter Stelle kam eine Meldung über einen weiteren Anschlag auf eine Bundeswehreinheit in Afghanistan. Es war aber eigentlich nix passiert, ein Deutscher wurde leicht verletzt, zwei Afghanen getötet. Der Sprechen meinte, es sei nicht klar, ob der Anschlag den Deutschen gegolten habe.
Nachricht Nr. fünf war der Rücktritt des sächsischen Finanzministers nach dem Zusammenbruch der sächsischen Landesbank. Der sagte, er wolle sich nicht aus der Verantwortung stehlen. Zwei Oppositions-politikern war das nicht genug, sie forderten auch den Rücktritt des Ministerpräsidenten. Und allen war anzusehen, dass sie es nicht so meinten.

Dann kam „kulturzeit“. Der Moderator trug einen karierten Anzug aus dem Nachlass von Gottlieb Wendehals. Der erste Beitrag handelte von den Leiden eines Filmemachers an seinem Schicksal als Sohn eines berühmten NS-Regisseurs. Ich habe solche Leute nie verstanden. Ich wäre gerne der Sohn von Leni Riefenstahl, schon weil der Name so schön jüdisch klingt.

„Das Essen steht auf dem Tisch!“, schrie Gad, „stell das Fernsehen ab!“ Früher gab es bei Gad am Freitagabend immer die „gedrängte Wochenübersicht“, einen Reste-Eintopf. Jetzt aber hatte er eine Suppe aus Truthahnhälsen gemacht, mit Fleischpierogen von Ossem.  Als Hauptgang gab es Hühnerschnitzel mit Kartoffeln und zum Nachtisch Melone mit Poundcake.

Zur „tagesschau“ machte ich das Fernsehen wieder an. Die Topmeldung war die Pleite der Sachsen LB. Danach ging es mit der Hypothekenkrise in den USA weiter. Die Pflegefälle kamen an dritter Stelle, ein Experte sagte: „Das Transparentmachen von Schwarzen Schafen ist das wichtigste.“ Der Übergang von den alten Menschen zum Ekelfleisch in Bayern war sehr organisch. Im Anschluss daran sah man Frau Merkel in Kyoto und deutsche Uniformen in Afghanistan.

Gad war inzwischen auf dem Sofa eingenickt, ich nahm die Fernbedienung aus seiner Hand und fing an zu zappen. Auf Israel 2 lief „Wer wird Millionär“, der Kandidat hatte Ohren wie eine Fledermaus und scheiterte an der Frage, welches Land so heißt wie die Hauptstadt des Landes. „Liechtenstein“, sagte er nach langem Überlegen.

Dann aber hörte ich auf zu zappen. Auf einem der Kabelkanäle lief eine britische Dokumentation über Sado-Masochismus mit hebräischen und russischen Untertiteln. Eine füllige Domina erklärte, was sie alles mit ihren Kunden anstellt, eine andere, worauf es in dem Beruf ankommt. Da wachte Gad wieder auf und fragte: „Sind die immer noch beim Ekelfleisch?“ – „Nein“, sagte ich, „die sind schon weiter, es geht um sächsische Banker, die keinen Platz in einem Pflegeheim gefunden haben“.

 

Permanenter Link

Achgut  Ausland  

Die Achse des Guten