Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

23.08.2007   16:01   +Feedback

Das ist nicht mein Israel! (3)

Nathan ist 31, fromm, trägt eine große schwarze Kippa und lange Schläfenlocken. Auch das Eis, das er verkauft, ist koscher. Das “Salina” in der Yaffo schräg gegenüber der Hauptpost gehört ihm. Wir kommen gerade aus dem Sea-Delphin, Avia und Hanna wollen unbedingt noch ein Eis haben. Wie viele Israelis schaut auch Nathan den ganzen Tag fern. “Was guckst du?”, frage ich. “Makkabi Haifa gegen Bnei Sachnin”, ein Spiel der israelischen Oberliga. Sowohl bei Makkabi Haifa wie bei den Söhnen Sachnins spielen Araber wie Juden - miteinander und gegeneinander. “Woher kommst du?” fragt Nathan. “Aus Deutschland.” Nathan läßt den Eis-Löffel fallen und verdreht die Augen. “Beckenbauer, Lehmann, Kahn, Effenberg, Klose, Podolski, Klinsmann…”, dann referiert er die Ergebnisse aller Bundesliga-Spiele vom letzten Wochenende, einschließlich der Mannschaftsaufstellung. “Fußball, das ist doch Gojim Naches”, sage ich. Nathan ist anderer Meinung: “Wie kannst du Fußball nicht mögen, wenn du aus Deutschland kommst?” Er raucht nicht am Schabbat, fährt nicht Auto, aber wenn Bayern München gegen Eintracht Frankfurt am Freitagabend spielen würde, hätte er große Mühe, das Fernsehen nicht einzuschalten.

Der Kibbutz Ramat Rachel wurde vor 8o Jahren von Einwanderern aus Polen gegründet, als südlicher Vorposten Jerusalems. Man kann von Ramat Rachel nach Bethlehem hinübersehen, im Unabhängigkeitskrieg wurde hier um jeden Meter gekämpft. Heute leben 15o Familien in dem Kibbutz, der mehr Ähnlichkeit mit einer club-med-Anlage hat als mit einer landwirtschaftlichen Siedlung. Denn Landwirtschaft spielt kaum noch eine Rolle in der Ökonomie von RR, man hat sich fast vollständig auf Tourismus (Hotel, Hochzeitshalle) und Dienstleitung (Großwäscherei) umgestellt und lebt gut davon. An die guten alten Zeiten erinnert nur noch der Cheder Ochel, der Speiseraum, in dem sich früher alle Kibbutzniks getroffen haben, als es in den Wohungen noch keine Küchen gab.
Als Ort ist Ramat Rachel viel älter als der Kibbutz. Vor ein paar Jahren wurde ein “archäologischer Garten” mit Fundstücken zur Geschichte Jerusalems eingeweiht. Die Exponate sind zum Teil bis zu 3000 Jahre alt, darunter sind die Überreste eines Herrschaftspalastes und einer Zitadelle aus dem 18. Jahrhunderts v.u.Z., Baureste aus der persischen Zeit, Ritualbäder aus der Zeit des Zweiten Tempels, eine Villa und ein Badehaus der Römischen 10. Legion, eine Byzantinische Kirche, ein Kloster und Reste aus der Frühislamischen Periode.
Aber Ari und seinen Freunden ist das alles egal. Sie haben neben dem Speisesaal ein Zelt aufgebaut, in dem sie Tag und Nacht kampieren, um gegen die Kibbutz-Leitung zu demonstrieren. “Wir wollen einen zweiten Clubraum”, sagt Ari. In dem “Moadon”, den es schon gibt, treffen sich alle 13 bis 18jährigen. Und das führt zu Reibereien, denn 13jährige haben mit 18jährigen nichts gemeinsam. Die einen wollen Tischtennis spielen und DVDs sehen, die anderen knutschen und kiffen. Deswegen soll der Kibbutz zwei “Moadons” einrichten, einen für die 13- bis 15-jährigen und einen für die 15- bis 18-jährigen. “Wir bleiben hier, bis wir unser Ziel erreicht haben”, sagt Danna, das heißt, spätestens bis Ende August, denn danach fängt die Schule wieder an.
Wenn das die Gründer wüßten! Die mußten sich anfangs auch in Gruppen organisieren. Es gab zwar genug zu essen, aber nicht genug Teller und Bestecke.

Ich komme wieder zu spät zum Frühstück und erwische nur die Reste. Björn sitzt auf der Terrasse, für ihn ist es schon das zweite Frühstück, er nimmt es mit seinem “personal trainer” ein. Björn ist um sieben Uhr aufgestanden und war eine Stunde später im Fitness-Studio des YMCA. Nach zwei Stunden Laufen, Schwitzen und den inneren Schweinehund besiegen belohnt er sich jetzt mit einer großen Portion Rührei, Bratwürstchen und Speck. Das sieht nicht nach einer Diät aus. Aber sein “personal trainer” hat nichts dagegen. Björn lebt schon 16 Jahre in Israel, als Korrespondent einer großen Tageszeitung, will jetzt aber weg. “Ich finds hier zum Kotzen”, sagt er. “Nach 16 Jahren ist es überall zum Kotzen”, sage ich, “geh doch nach Zimbabwe, das kennst du noch nicht und da ist grad schwer was los, nicht immer dasselbe wie hier”. - “Darum geht es nicht”, sagt Björn, “ich mache mir Sorgen um die Zukunft dieses Landes”. Und deswegen will er weg, bevor alles in sich zusammenfällt.
Da fällt mir Wibke Bruhns ein, die vor über 2o Jahren für den stern aus Israel berichtet hat. Als sie die Nase voll hatte, schrieb sie einen Abschiedsartikel: “Es ändert sich nichts, ich kann nichts ändern, also gehe ich.” So isses mit den Journalisten: sie möchten die Welt verändern, aber am Ende sind sie schon froh, wenn der “personal trainer”  sie nicht zu sehr fordert.

 

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