Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

18.08.2007   00:29   +Feedback

Völkerrechswidrige Kichererbsen bei Kaufhof

Es ist immer wieder schön zu erleben, mit was für einer schlafwandlerischen Sicherheit Kinder in die Fußstapfen ihrer Eltern und Großeltern treten. Ganz freiwillig und so selbstverständlich wie Butter ranzig wird, wenn sie zu lange in der Sonne steht. Zur Zeit des Vietnamkrieges waren es die Söhne und Töchter der Waffen-SS-Helden und Einsatzgruppen-Leiter, die mit “USA-SA-SS”-Rufen die eigene Entnazifizierung feierten. Vietnam war nur ein Vorwand, um sich von der Last der Geschichte zu befreien.
Heute sind es deren Kinder, die mit dem Ruf “Wir fordern FAIR TRADE! - Auch mit Israel!  NEIN zu Produkten aus illegalen Siedlungen!  Wir wollen keine Kräuter der Apartheid!” vor dem Kaufhof aufmarschieren, um gegen die Aktionswochen “Kulinarisches Israel” zu protestieren. Ein Schuft, wer Böses dabei denkt und wem die Parole “Deutsche wehrt Euch, kauft nicht bei Juden!” in den Sinn kommt, mit der fröhliche Jungnazis vor dem jüdischen Kaufhaus “Wertheim”, dem Kaufhof-Vorgänger, aufzogen. Denn diesmal geht nicht darum, die Macht des Weltjudentums zu brechen und das “schaffende” gegen das “raffende” Kapital zu verteidigen, nein, diesmal geht es darum, dass einige der an den Aktionswochen beteiligten Unternehmen “Beziehungen zu völkerrechtswidrig errichteten zionistischen Siedlungen in den besetzten Gebieten” unterhalten, wie es das Zentralorgan der postkommunistischen Bigotterie und des aufgeklärten Antisemitismus feinsinnig formulierte.

Aber so einfach, wie es sich die Simpel aus der Torstraße vorstellen, ist die Sache nicht. Die Hamas und die Hisbollah, mit denen das nationalbolschewistische Blatt sympathisiert, machen keinen Unterschied zwischen “Israel” und den “besetzten Gebieten”, für sie sind alle Gebiete, in denen “Zionisten” siedeln, “besetzt”, Haifa genauso wie Hebron, Beer Scheva ebenso wie Bethlehem und Tel Aviv nicht weniger als Tulkarem. Aus der Sicht der Hamas und der Hisbollah ist das auch logisch und richtig, denn sie wollen ganz Palästina von der zionistischen Herrschaft befreien. Deshalb beschießt die Hisbollah vom Libanon aus zionistische Siedlungen im Norden von Israel, greift die Hamas aus dem doppelt befreiten Gaza-Streifen die zionistische Kolonie Sderot an.

Und so wie “Vietnam” damals ein mieser, verlogener Vorwand war, um die antiamerikanische Sau durch das völkische Dorf zu treiben, sind die “völkerrechtswidrig errichteten zionistischen Siedlungen in den besetzten Gebieten” heute ein Vorwand für ein paar lustige antisemitische Exerzitien - durchgeführt von den gleichen Leuten, die bei anderer Gelegenheit keine Hemmungen haben, zu Solidaritätsaktionen für den “irakischen Widerstand” aufzurufen, der ein Blutbad nach dem anderen anrichtet. Und würden die Avocados und die Kichererbsen für die Herstelung von Humus und Falafel nicht aus den “besetzten Gebieten”, sondern aus irgendeinem Kibbutz hinter Afula kommen, müßten die Freunde des judenfreien Palästinas nur ein wenig argumentativ umdisponieren. Sie würden dann sagen, dass die Traktorfahrer aus dem Kibbutz ihren Armeedienst in den besetzten Gebieten leisten - was ohne Zweifel stimmt - und man deswegen “Israel” und die “besetzten Gebiete” weder ökonomisch noch politisch separieren kann - was auch richtig ist.

Denn der Antisemit findet immer einen Grund, sich in Stellung gegen die Juden zu bringen. Nicht was der Jude tut oder unterläßt, regt auf, sondern dass es den Juden gibt.
Zu dem Martyrium der bulgarischen Krankenschwestern und des palästinensischen Arztes in Libyen fiel ihm nix sein, nicht einmal nachdem der Ghaddfi-Sohn zugegeben hatte, dass der ganze “Prozess” eine Farce war, um Vorteile für Libyen zu erpressen, Er ruft auch nicht zu einem Boykott chinesischer Produkte auf, obwohl China seit 195o Tibet besetzt hält, und wenn man ihn nach der Geschichte Kaschmirs oder der Westsahara fragen würde, müßte er die Begriffe erst einmal googeln. Nur bei Palästina, da weiss er bescheid. Da läßt er sich kein P für ein J vormachen. Und haben Oma und Opa noch in ihrer Freizeit “Juden raus nach Palästina!” gespielt (ein beliebtes Würfelspiel wie “Mensch ärgere Dich nicht”), so ruft er heute “Zionisten raus aus Palästina!” und hört nicht, wie es aus ihm tönt. Wie heißt es in einem alten chinesischen Sprichwort?
“Nur die eigenen Fürze riechen gut.”

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