Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena
07.01.2008 15:55 +Feedback
Man gewöhnt sich an allem, sagen die Kölner, sogar an dem Dativ, nur nicht daran, dass eine Erinnerung nicht mehr da ist. Früher fand ich es nur komisch, wenn alte Schlesier nach Ratibor fuhren, um sich das Haus ihrer Eltern anzusehen, das im Krieg zerstört wurde. Jetzt kann ich es verstehen. Where, the fuck, ist das Cafe Eclair? Bambi, Ente und ich saßen da fast jeden Tag und schauten den alten Juden beim “Kaffeklatsch” zu. Jetzt ist das Eclair weg. Genau gegenüber, auf der Südseite der 72. St, gibt es noch das Fine & Schapiro (“Real Jewish Cooking”), 1927 gegründet, der jüdischste aller Diner, mit chopped liver, gefillte fish, stuffed derma, sweet and sour tongue und kasha. Drinnen riecht es nach eingelegten Gurken, sauren Tomaten und frischem Sauerkraut, wenn man Geruch in Dosen packen exportieren könnte, wäre das ein Hit. Über der Kasse hängt ein Zertifikat des Orthodoxen Rabbinats: Fine & Schapiro ist koscher, glatt koscher. “Haben Sie auch am Samstag auf?”, frage ich den Mann hinter der Kasse. “Natürlich, die Leute wollen doch essen. Und am Samstag kommen die Familien.” - “Wie können Sie koscher sein, wenn Sie am Samstag auf haben?” - “Was hat das eine mit dem anderen zu tun? Unser Essen ist koscher.” - “In Jerusalem würden Sie kein Kaschrut-Zertifikat bekommen, wenn Sie am Samstag auf hätten, nicht einmal von einem Reform-Rabbiner.” - “Jerusalem ist Jerusalem und New York ist New York”, sagt der Mann hinter der Kasse mit schwerem russischem Akzent und bindet sich eine weiße Schürze um.
Gleich nebenan, im 72nd Street Bagel, hängt im Fenster auch ein Kaschrut-Zertifikat. Das Bagel-Cafe ist “koscher and vegetarian”, es bietet ein Dutzend verschiedene “Spreads” auf Cream-Cheese-Basis an, mit Lachs, Gemüse, Schnittlauch, Tunafish und mehr. Ein einfaches Bagel, dick mit Cream Cheese belegt, kostet 2.90 Dollar.Ich nehms.
An sich war es für ein Frühstück schon etwas spät. Ein Uhr ist Lunchtime. Ich nehme die rote Eins bis zur 23. St., dann den M 23 Bus bis zur 10 Av. und laufe einen Block bis zur 22nd St. Da steht der Empire Diner, das genaue Gegenteil von Fine & Schapiro. Es gibt Cheeseburger und alle Speisen werden mit Bacon serviert, sogar Pancaces und French Toast. Das Empire stammt auch aus den 20er Jahren, ist aber viel kleiner als Fine & Schapira, ein langer schmaler Schlauch, der an einen umgebauten Eisenbahnwaggon erinnern soll, die Urform des Diners. Und voll bis unter die Decke. Ich setze mich an den einzigen freien Platz an der Theke und bestelle einen großen Teller Home Made Chicken Noodle Soup für alberne fünf Dollar.
Dann überlege ich, was ich machen soll, bis ich von Ashkan zum Dinner abgeholt werde. Ich fahre mit dem M 23 bis zur 6. Av., laufe drei Blocks runter und setz mich bei Barnes & Noble ins Cafe. B&N ist ein weiterer Beweis für die absolute Kulturlosigkeit der Amerikaner. Nicht nur, dass man bei B&N fast jedes Buch bekommt, man kann auch jedes Buch aus dem Regal und ins Cafe nehmen, es dort lesen und liegen lassen. Ich nehme mir das neueste Buch von Ann Coulter (“IF DEMOCRATS HAD ANY BRAINS, THEY’D BE REPUBLICANS”), die sehr blond, sehr witzig und sehr klug ist (http://www.anncoulter.com/) und such mir einen ruhigen Platz im B&N-Cafe.
Ich hab das Buch zur Hälfe durch, als Ashkan anruft, dass er sich um ein paar Minuten verspäten wird. Macht nichts, so kann ich noch kurz nappen, bevor es weitergeht.
Wir fahren auf die East Side, in die 2nd Avenue, zu Haveli, einem Top-Inder. Die Curry Shrimps sind natürlich nicht koscher, aber großartig. Außerdem kann man im Haveli sitzen und schwatzen, ohne dass einem nach dem letzten Bissen die Rechnung auf den Tisch geknallt wird. Gegen 22 Uhr gehen wir, drehen mit Ashkans neuem Honda eine Runde durch das East Village und landen wieder in der 2nd Av, zwischen der 12. und 13. St., direkt vor dem Little Poland. Hier werden die besten Nalesniki westlich von Zielona Gora serviert. Nicht reinzugehen, hieße die polnische Nationalehre zu beleidigen. Außerdem sprechen die Kellnerinnen alle polnisch.
Kurz vor 11 bin ich wieder daheim, in unserem kleinen Loft an der 66. St. Es war ein anstrengender Tag. Für Nachrichten bin ich zu müde. Aber auf FOX 5 gibt es um 11 Uhr wieder Seinfeld: Elaine, Jerry, George und Kramer gehen in die Oper.
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