Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

02.02.2008   22:36   +Feedback

Wenn die Igel in der Abendstunde…

In Hamburg stürmt es,  der Bootsverkehr auf der Alster wird eingestellt, ich bringe meinen kleinen Kajütkreuzer ins Harvestehuder Fährhaus und mache mich auf den Weg nach Hause. Kurz hinter Meyenburg fällt mir ein, dass mein Berliner Penthouse gerade renoviert wird, ich fahre bei Wittstock ab und überlege, was ich mit dem Rest vom Wochenende anfangen soll. In einer Stunde wird es dunkel und in zwei Stunden fängt auf RTL die neue Folge von DSDS an. Außerdem hab ich Hunger. Beim Jahresempfang der Welthungerhilfe gibt es bestimmt was zu essen, aber ich mag Dieter und seine Kandidaten nicht verpassen. Da sehe ich: „Rheinsberg 38 Kilometer.“ Das muss die Vorsehung sein. Tucholsky ist auch schon gerne nach Rheinsberg gefahren.

Ich gebe die Koordinaten in den Navigator ein und rolle über Babitz, Schweinrich, Flecken Zechlin,  Dorf Zechlin und Linow in Richtung Rheinsberg. Es ist die Stunde, da die Fledermäuse langsam wach werden, aber die Menschen scheinen schon in der sozialen Hängematte zu liegen. Nicht nur, dass keine Seele, kein Schwein, kein Hund und keine Katze auf der Straße zu sehen ist, auch in den Häusern brennt kein Licht. Ich komme mir vor, wie in Gaza zur Zeit der israelischen Besatzung mitten in einem Curfew. Wenn man in dieser Gegend über Nacht einen Pali-Staat gründen würde, es würde niemand auffallen.

Auch in Rheinsberg ist es schon ruhig, sehr ruhig. Ich drehe eine Runde, um mich zurechtzufinden und bleibe auf dem Parkplatz vom „Hotel am See – Haus Rheinsberg“ stehen. Der Bau sieht nagelneu aus, hier kann ich sicher sein, nicht in einem Bett zu landen, in dem schon Egon Krenz geschlafen hat. Die Eingangstür ist so breit wie ein Garagentor, die Lobby so geräumig wie ein Lazarett. An der Rezeption erwarten mich ein blonder Mann und eine brünette Frau.   „Willkommen im Haus am See, Haus Rheinsberg“, sagt die Frau, „Ich hoffe, Sie hatten eine gute Anreise.“ Sie greift zum Anmeldeformular und füllt es für mich aus. „Name? Vorname“ Geburtstag? Adresse?“

Mir fällt auf, dass sie die Finger spreizt, damit ihre superlangen und bemalten Fingernägel nicht abbrechen. „Warten Sie bitte einen Moment“, sage ich, „haben Sie Internet im Haus?“ – „Wir haben Kabelanschluss in jedem Zimmer und W-Lan in der Lobby“, sagt der Mann. „Bestens“, sage ich. „Ich begleite Sie auf Ihr Zimmer“, sagt die Frau. „Danke, ich komme schon zurecht“, sage ich. „Es ist besser, wenn ich mitkomme“, sagt die Frau und will mir meinen Samsonite-Rollenkoffer entreißen. Wir durchqueren die Lobby, nehmen den Lift in den zweiten Stock. Die Tür zum Zimmer 330 hat eine Magnetsicherung. „Halten Sie den Schlüssel gegen diese Platte, so geht die Tür auf, dann legen Sie den Schlüssel hierher, so geht das Licht im Zimmer an.“ – „Danke, ich war schon mal in einem Hotel“, sage ich. „Das hier ist ein besonderes Hotel“, sagt die Frau. Ich mache die Tür zum Badezimmer auf. Woher kenne ich das Design? Boden und Wände gekachelt, eine offene Nasszelle zu ebener Erde, das Klo zwischen zwei Stützlehnen. Die Frau kann Gedanken lesen. „Wir sind ein Behindertenhotel“, sagt sie. „Ich hab aber nur Ischias“, sage ich, „und im Sommer Heuschnupfen“. – „Macht nichts“, sagt die Frau, „Sie werden sich bei uns wohl fühlen“.

Ich muss dringend eine mail an das ZK der Weisen von Teheran schicken und schau mich nach dem Internet-Kabel um. Aber alles, das ich sehe, ist eine Telefondose. „Ich habe ein Kabel mitgebracht“, sagt die Frau. Es ist ein einfaches Telefonkabel, wie es in den Kindertagen des Internet für Modem-Anschlüsse benutzt wurde. „Ich brauche einen DSL-Anschluss“, sage ich. „Das ist alles, was es hier gibt“, sagt die Frau und es klingt, als wollte sie jemand, der im Konsum nach Bananen gefragt hat, eine Dose Brechbohnen aus Bulgarien anbieten.

Wir rollen zurück in die Lobby. Der Mann an der Rezeption gibt mir eine 12-stellige W-Lan-Zugangsnummer.  Die Nummer wird jeden Monat geändert. „Versuchen Sie es mal damit.“ Genauso gut könnte ich versuchen, mit einem Trabi bei einem Formel-1-Rennen zu starten. „Sagen Sie mal“, sage ich, „wann hat hier ein Gast zuletzt versucht, ins Netz zu gehen?“ Der Mann an der Rezeption schweigt. Die Frau betrachtet ihre superlangen angemalten Fingernägel. Gleich fängt DSDS an. In größter Eile verlasse ich das „Haus Rheinsberg“ und steuere das Schloss Hotel an. Das ist älter, kleiner, schöner, und das W-Lan funktioniert. Die junge Besitzerin steht an der Rezeption, hat ganz normale Fingernägel und läßt mich meinen Meldezettel selber ausfüllen. Ich miete die Fontane-Suite, mache das Fernsehen an und höre Dieter Bohlen zu einem Kandidaten sagen: „Das Einzige, was du hast, das ist ein Rad ab.“  Schade, das hätte mir vor zehn Minuten einfallen sollen.

 

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