Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

29.01.2008   02:08   +Feedback

Esst doch Kuchen, wenn ihr kein Brot habt!

Ich kam von einem opulenten Abendessen bei “Lutter & Wegner” zurück, wo Aaron, Ehssan und ich die Berliner Sektion der “Weisen von Teheran” ausgerufen hatten, und machte das Fernsehen an, um die Mitternachtsnews auf RTL zu sehen. Die Moderatorin kündigte einen Beitrag über die Lage in Gaza an. Und plötzlich verspürte ich neben einem Völlegefühl einen Anflug von schlechtem Gewissen. Mußten es wirklich drei Wiener Schnitzel sein, jedes so groß wie Vinyl-LP, wären zwei nicht genug gewesen? Und überhaupt: Hätten wir uns nicht auf drei Curry mit Pommes bei Konopke treffen können und das gesparte Geld an den palästinensischen Halmond überweisen sollen?  Dann kam der Beitrag über die Lage in Gaza, wo eine Hamas-Delegation sich bei der ägyptischen Polizei für die gute Zusammenarbeit bedankte. Man sah ziemlich beleibte Herren, die so aussahen, als würden sie jeden Tag zweimal bei “Lutter & Wegner” tafeln und gut gelaunte Shopper, die sich mit dem Nötigsten eindeckten. Darunter einen jungen Mann, der stolz sein nagelneues Motorrad präsentierte, einen Händler, der seinen Wagen mit Cola-Kisten vollgeladen hatte und Männer, die Zigaretten kartonweise über die Granze schafften. Ja, dachte, so sieht wahre Not aus, ganz im Sinne der Aufforderung von Marie-Antoinette: “Esst doch Kuchen, wenn ihr kein Brot habt.” Allein schon deswegen ist der Vergleich mit der Situation im Warschauer Ghetto berechtigt. Auch dort gab es keine Motorräder, keine Cola, und wer rauchen wollte, war glücklich, wenn er eine Kippe fand.
Dann freilich berichtete der Reporter, die Ägypter hätten, um den unkontrollierten Grenzverkehr zu stoppen, den Nachschub der Waren unterbunden. Das fand ich nicht fair, eine Kollektivstrafe. Erst schöpfen die Ägypter die Kaufkraft der Palästinenser ab, dann machen sie die Schotten dicht. Und morgen wird wieder die United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East (UNRWA) die Versorgung der Palästinenser im Gaza-Streifen übernehmen, und es werden wieder Bilder um die Welt gehen, auf denen Menschen zu sehen sind, die tagsüber bei zugezogenen Gardinen und brennenden Kerzen im Halbdunkel sitzen, um die Welt auf ihr Schicksal aufmerksam zu machen. Wir aber, Aaron, Ehssan und ich, werden uns bei “Adnan” in der Mommsenstraße treffen, ausgiebig tafeln und hinterher das Völlegefühl ohne einen Anflug von schlechtem Gewissen genießen.

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