Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

21.01.2008   01:37   +Feedback

Happy-End mit Kindergeld

Da ich am Montag in Berlin einen Kulturpreis bekomme, dachte ich, es könnte nicht schaden, wenn ich mich ein wenig mit der Materie beschäftige. Also habe ich meine Seniorenresidenz in Baden-Baden verlassen und bin nach Zürich gefahren, um mir die Oper La Juive von Jacques Halevy anzusehen. http://de.wikipedia.org/wiki/La_juive
Sie dauerte vier Stunden. Am besten haben mir zwei Tanzszenen gefallen, während der nicht gesungen wurde. Das hatte vor allem damit zu tun, dass ich nicht Französisch spreche. Aber die Musik war schön, die Ausstattung prächtig und die Handlung voller Action. Nur das Ende hat mir nicht gefallen. Eleazar opfert sich und seine Tochter Rachel, die aber in Wirklichkeit die Tochter des Kardinals Brogni ist, der Eleazar und Rachel zum Tode verurteilt hat.  Nun ja, nicht einmal im Tatort gibt es immer ein Happy-End. Damit habe ich meine Opern-Erfahrung um 1oo% gesteigert. Vor ein paar jahren hab ich mir in Wien “Lulu” von Alban Berg angesehen, nicht ganz freiwillig.
Dann bin ich ins Hotel zurück, um ein wenig zu surfen und zu zappen. Und plötzlich sehe ich meinen Freund Matthias Matussek im Ersten. “Er erforscht das Innenleben des Landes, seine Schrägheiten, seine Größe, seine Abgründe.”  http://www.daserste.de/doku/beitrag_dyn~uid,gv7vl75j9f0g8h6a~cm.asp MM besucht einen Salon für Hochzeitskleider und staunt, wie toll Francesca in ihrem weißen Brautkleid mit der langen Schleppe aussieht, dann spricht er mit einem Dirigenten, der einen NS-affinen Komponisten ausgegraben hat, der einen jüdischen Verleger hatte, weswegen der Komponist, sagt der Dirigent, eine “vielschichtige Persönlichkeit” war; das ist schon recht schräg und schwer abgründig, aber es kommt noch besser. MM spricht mit einer attack-Aktivistin, die immer wieder die attack-Parole “Eine andere Welt ist möglich” wie eine Gebetsformel wiederholt. Zwischendurch sagt sie, sie möchte nicht in einer Welt leben, in der die vielen Armen immer ärmer und die wenigen Reichen immer reicher würden. Dann wird sie von MM gefragt, wovon sie denn leben würde. Die attack-Frau sagt, sie habe zwei Kinder, und “die verdienen Kindergeld”. MM glaubt, er habe sich verhört. “Die verdienen Kindergeld?”, fragt er. Ja, sagt die attack-Frau, “die verdienen Kindergeld”. Dann braucht sie nur noch 5oo.- Euro dazu und kommt gut über die Runden.
Die Frau hat für sich den Traum von einer gerechten Welt verwirklicht. Ihre zwei Kinder (vom Kindsvater ist nicht die Rede), verdienen Kindergeld, weswegen Mutti es sich leisten kann, Sprüche klopfend und ohne zu arbeiten für eine Welt zu kämpfen, in der es keine Armen und keine Reichen mehr gibt, sondern nur noch Empfänger von Sozialleistungen. Dass irgendjemand das Kindergeld, das ihre Kinder “verdienen” und von dem sie lebt, erst einmal erarbeiten muss, das kommt der Weltverbessererin nicht in den Sinn. Früher nannte man so was Schmarotzertum, heute ist es die fortschritttliche Alternative zum menschenverachtenden Kapitalismus.
Und nachher geht es mit der Kulturrecherche weiter: bei Sprüngli am Paradeplatz.

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