Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

02.07.2008   12:45   +Feedback

“Die Demokratie ist das Mittel, die Scharia das Ziel”

Während die toleranten Europäer im Begriffe sind, sich von Ländern dem Iran, Pakistan, Ägypten und Libyen die Grenzen der Meinungsfreiheit vorschreiben zu lassen, haben die rückständigen Türken begriffen, was auf dem Spiel steht. Am 14. März 2008 reichte der Generalstaatsanwalt der Türkischen Republik am Kassationshof, Abdurrahman Yalçinkaya, einen Verbotsantrag gegen die Regierungspartei AKP ein, verbunden mit einem Antrag auf Verbot parteipolitischer Tätigkeit für 71 AKP-Politiker, u.a. Staatspräsident Abdullah Gül, Ministerpräsident Erdogan und Ex-Parlamentspräsident Bülent Arinç.

In seiner 162-seitigen Anklageschrift versucht der Generalstaatsanwalt anhand von Aktivitäten und Zitaten von AKP-Politikern nachzuweisen, daß die AKP mit ihrer Politik die Umwandlung der türkischen Republik in einen islamischen Schariastaat betreibt. Lesen Sie hier Zitate aus der Anklageschrift, wie sie die Hürriyet am 16. März ihren Lesern unter der Überschrift “Die Demokratie ist das Mittel, das Ziel ist die Scharia” präsentierte. Die von der Hürriyet zitierten Stellen wurden mit der Anklageschrift verglichen und die entsprechenden Stellen direkt aus dem Original übersetzt (die Hürriyet hatte sie teilweise leicht gekürzt). 

“Die Möglichkeit, daß […] der politische Islam oder auch das Modell eines gemäßigten Islams, in das man die Türkei einfügen will, sich in einen Schariastaat wandelt, und daß dabei bei Bedarf auch Terror angewandt wird, ist nicht zu unterschätzen. So haben zum Beispiel in der jüngsten Vergangenheit in unserer Region einige Länder, die häufig als Beispiel für eine Übergangsepoche vorgebracht worden waren, später eine ausweglos radikale Veränderung durchgemacht und sich dabei zu radikalreligiösen Staaten gewandelt.”

“Die [in dieser Anklageschrift] deutlich gemachten Aktivitäten [der beklagten Partei] und insbesondere ihre Gesetzesvorschläge, welche Veränderungen im Grundgesetz und im Hochschulgesetz beinhalten, zeigen ganz klar die Absicht, den Boden für eine Veränderung der fundamentalen Prinzipien der Republik Türkei zu bereiten.”

“Wenn man beachtet, daß eine politische Partei, die eine Brutstätte von gegen das laizistische Rechtssystem gerichteten Aktivitäten darstellt, auch noch eine Mehrheitsregierung stellt, sieht man, daß eine Gefahr im Sinne einer Verwirklichung des angestrebten Modells [der Scharia] besteht, daß diese Gefahr hinreichend nah ist, daß die Aktivitäten der beklagten Partei geeignet sind, das anvisierte Gesellschaftssystem zu errichten, und daß das Risiko jeden weiteren Tag ihrer Regierung wächst.”

“Die Deklarationen bezüglich der Freigebung des Kopftuchs in öffentlich-staatlichen Räumen und im Türkischen Parlament sowie die Initiativen zur Abschaffung des auf die Absolventen der Imam-Hatip-Gymnasien angewandten Koeffizientensystems1 macht diese Gefahr noch konkreter und dringlicher. Es kann natürlich nicht in Frage kommen, hinzuwarten, bis die beklagte Partei den gesellschaftlichen Frieden in Gefahr bringt und das anvisierte Modell verwirklicht hat.”

“Die einzige und zwingende, auch in sozialer Hinsicht erforderliche Methode, um die beklagte politische Partei von ihrem Ziel abzubringen, ist nur die Sanktion einer Parteischließung, es bleibt keine andere Möglichkeit, um die Gesellschaft vor der Gefahr zu beschützen, der sie gegenübersteht. Die Aktualisierung der Werte des Systems, das mit der Gründung der Republik abgeschafft wurde, wird im Hinblick auf das demokratische System und die demokratische Gesellschaft unvermeidlich zu sehr schwerwiegenden Folgen für die laizistische Grundordnung und deren Verteidigung führen.”

“Es kann nicht behauptet werden, daß ein Verbot einer politischen Partei, die mit ihren Aktivitäten (insbesondere mit der Änderung der Artikel 10 und 42 des Grundgesetzes2, und der Änderung des Zusatzartikels 17 des Hochschulgesetzes3, welche auf indirektem Wege das laizistische Prinzips beseitigen würden) in offener Weise die Verwirklichung des islamischen Systems betreibt, den zwingenden sozialen Erfordernissen und den Voraussetzungen der demokratischen Gesellschaft zuwiderläuft, daß es abstrakt, unplausibel und unausführbar sei. Denn für eine politische Partei, welche die Möglichkeiten der Regierungsmacht ausschöpft, ist die Konkretisierung dieser Angelegenheiten gleichbedeutend mit einer Abschaffung des demokratischen Systems. Wenn daher die Scharia, d.h. die Gewalt, erst einmal konkret geworden ist, wird von einem demokratischen System, das versucht, sich selbst zu schützen, keine Rede mehr sein können.”

“Es steht fest, daß [die beklagte Partei] entschlossen ist, die laizistische Republik in eine neue Lebens- und Staatsordnung zu überführen, daß sie beginnt, die Gesellschaft in Fromme und Nichtfromme zu spalten, daß sie daraufhin arbeitet, das laizistische Rechtssystem des Landes etappenweise neu zu formen, daß sie eine Debatte um die Zukunft der Staatsform und der Republik eröffnet hat.”

“Wenn das Prinzip des Laizismus, welches eine Vorgabe des Grundgesetzes ist, die nicht verändert werden darf, und deren Abänderung nicht vorgeschlagen werden kann, beschädigt wird, tritt die Zuständigkeit und die Pflicht der Generalstaatsanwaltschaft der Republik am Kassationshofs zum Schutz des politischen Systems des Staates in Kraft. Die grundlegende Aufgabe der Generalstaatsanwaltschaft der Republik am Kassationshof ist, die Republik, ihre Prinzipien und ihre Errungenschaften zu schützen.”

“Es wurde erkannt, daß das Endziel der politischen islamistischen Strömungen in der Türkei und der mit ihrer Politik auf denselben Grundlagen beruhenden beklagten Partei darin besteht, anstelle des Rechtsstaats ein auf religiösen Fundamenten beruhendes Staatssystem (Scharia) zu errichten. Sie haben mit eigenen Aussagen erklärt, daß sie bis zur Erreichung dieses Ziels die Methoden der “Takiyya” anwenden werden. Ihr Rat zu Geduld und Zurückhaltung gegenüber dem Druck ihrer [Partei]Basis ist ein Zeichen dafür.”

“In diesem Zusammenhang wurden Parteien, die sich nicht an das Prinzip des Laizismus, das eine Grundlage der im Grundgesetz festgelegten freiheitlichen demokratischen Ordnung darstellt, hielten, mit anderen Worten antilaizistische Parteien, verboten, und man hat sich in diesen Fällen die Sanktion der Parteischließung zu Eigen gemacht. Dieses Verbot, diese Sanktion ist, wenn man die möglichen Gefahren für das laizistische Staatssystem in Betracht zieht, in gleichem Maße legal und rechtmäßig wie ein Verbot der Nazipartei in Deutschland und Österreich und der faschistischen Partei in Italien.”

Siehe auch:
http://www.hurriyet.com.tr/gundem/8468722.asp
Übersetzung aus dem Türkischen: ODD

http://www.handelsblatt.com/politik/international/tuerkische-regierungspartei-kaempft-um-ihr-ueberleben;2006886

 

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