Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

22.08.2008   22:40   +Feedback

Hallo, liebe Friedensfreunde!

Also gut, Ihr habt einen Krieg verpennt. Ihr habt Wichtigeres zu tun gehabt. Ihr mußtet Medaillen zählen, unseren Springreitern, Kanuten und Bogenschützen die Daumen drücken, Care-Pakete für die Not leidenden Menschen in Gaza packen und die Gebrauchsanweisung für das neue i-Phone studieren. Geht in Ordnung. Multitasking ist nicht Eure Sache, und deswegen haben sich einige von Euch damals freigenommen, um in Heiligendamm live dabeisein zu können. Von den schönen Tagen an der Ostsee, als Ihr beinah den G-8-Gipfel verhindert hättet, werdet Ihr noch Euren Enkelkindern erzählen. Hoffentlich habt Ihr daran gedacht, die Video-Clips auf die Festplatte zu übertragen. Die Russen wiederum sind für ihre Gastfreundschaft bekannt, andererseits aber auch für eine gewisse Härte im Umgang mit Demonstranten, die das Gastrecht mißbrauchen, wie es Volker Beck vor kurzem selber erfahren mußte. Ich nehme es Euch also nicht übel, dass Ihr daheim geblieben seid. Aber hättet Ihr nicht wenigstens ein paar weiße Bettlaken aus den Fenstern hängen können, wie zur Zeit des Zweiten Golfkriegs 90/91? Und ein wenig für den Frieden hupen, ficken und saufen? Alles bequem vom Wohnzimmersofa oder auf der Heimfahrt vom Familientherapeuten?
Ihr habt es nicht getan, und ich will nicht nachtragend sein. Ihr wisst, was Ihr tut und Ihr wisst, wie die Welt tickt. Deswegen wäre ich Euch sehr verbunden, wenn Ihr mir etwas erklären könntet, das ich nicht verstehe:
Letzten Dienstag hat sich ein Attentäter am Eingang zu einem Krankenhaus in Dera Ismail Khan im Nordwesten von Pakistan in die Luft gesprengt und mindestens 29 Menschen in den Tod mitgenommen. Einige Dutzend wurden “verletzt”, was so viel bedeutet, dass sie in der Zukunft mit ein paar Gliedmaßen weniger werden auskommen müssen. Sie werden nicht ohne fremde Hilfe aufs Klo gehen können und jemand brauchen, der ihnen sagt, was vor ihnen auf dem Teller liegt. Shit happens, sie waren zur falschen Zeit am falschen Ort.
Zwei Tage später, am Donnerstag, haben zwei Attentäter vor den Werkstoren einer Fabrik in Wah, nördlich von Islamabad, “Selbstmord” begangen - genau zur Zeit des Schichtwechsels. Etwa 70 Arbeiter wurden getötet, mindestens 80 bis 90 “verletzt”. Die Taliban übernahmen die Verantwortung für beide Anschläge. Auch in Algerien, das politisch und kulturell ganz anders formatiert ist als Pakistan, war in den letzten Tagen der Teufel los. In Issers östlich von Algier starben mindestens 43 Menschen bei einem Anschlag auf eine Polizeischule. Bei der Explosion zweier Autombomben in Bouira, südöstlich von Algier, gab es elf Tote und über 3o Verletzte.
Was ich gerne wissen möchte: Gibt es eine vernünftige Erklärung für diese Blutbäder? Muss eine fremde Macht aus Pakistan verjagt werden? Ist ein Teil von Algerien von Zionisten besetzt, die den vor 6o Jahren vertriebenen Menschen die Rückkehr verweigern? Sind Pakistan und Algerien Vorposten des Imperialismus? Hat es in Algerien eine Nakba gegeben?  Verlangen Millionen von Vertriebenen das “Recht auf Rückkehr”? Sind diese Menschen über ihre Situation so verzweifelt, dass sie lieber in den Tod gehen, als weiter im Elend zu darben?
Klärt mich bitte auf, liebe Friedensfreunde. Wenn Ihr schon Eure fetten Wohlstandsärsche nicht vom Sofa hochkriegt, dann setzt doch wenigstens Eure letzten Hirnzellen in Bewegung. Und falls die nichts mehr hergeben, dann fragt doch den außenpolitischen Sprecher und Judenreferenten der PDS, er müßte es wissen. Oder einen der vielen Rentner, denen die Brieftauben weggeflogen sind und die nun viel Zeit haben, sich um eine Lösung der Palästinafrage zu kümmern. Fragt sie, was in Algerien und in Pakistan los ist. Oder schreibt eine Mail an Jürgen Hodentöter. Oder Rupert Neudeck. Oder Konstantin Wecker. Oder Prof. Dr. Reuven Moskowitz. Einer muss es wissen.

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