Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

04.09.2008   19:09   +Feedback

Ein Denunziant mit Anstand

Es ist ja kein Geheimnis, dass Michal Bodemann und ich nicht die dicksten Freunde sind. Und weil Feindschaften ebenso wie Freundschaften gepflegt werden müssen, hat Bodemann in der taz einen Text veröffentlicht, in dem er sich mit Evelyn Hecht-Galinski solidarisiert – nicht ganz so heftig wie Christian Anders, aber sehr entschieden. Das ist sein gutes Recht. Das Recht auf freie Meinungsäußerung schließt auch das Recht ein, Unsinn verbreiten zu dürfen, wie z.B. die Behauptung, ich hätte „die Muslime von heute mit dem Nazideutschland von einst gleichsetzt“, der Zentralrat der Juden habe sich „fast vorbehaltlos zum Sprachrohr der israelischen Regierungspolitik von Scharon und Olmert machen lassen“, der Antisemitismus-Vorwurf könne „tödlich sein“, weswegen man anerkennen müsse, dass Evelyn Hecht-Galinski „den Mut aufbringt, in diesem überängstlichen, feigen Milieu die israelische Politik zu kritisieren“.
http://www.taz.de/1/debatte/kommentar/artikel/1/rufmord-und-rassistische-hetze/

Das alles ist so wahr, wie es wahr ist, dass Bodemann ein verkanntes Genie ist, das sich als einziges traut, die Wahrheit auszusprechen. Sagen wir es freundlich: Er hat keine Ahnung, wovon er redet, wenn er z.B. behauptet: „Nicht einmal Mosche Zimmermann, Professor an der Hebräischen Universität, wurde so verunglimpft, als er vor etlichen Jahren die Besatzungs- und Siedlungspolitik im Westjordanland mit Nazimethoden verglich.“
Nun, ganz so war es nicht. Zimmermann fühlte sich schwer verleumdet, klagte und – verlor. http://www.juedische.at/TCgi/_v2/TCgi.cgi?target=home&Param_Kat=3&Param_RB=9&Param_Red=10378

Aber das muss ein weltberühmter Wilmersdorfer Soziologe nicht wissen, der die Schikanen der Israelis gegen die Palästinenser „unmenschlich“ nennt, die Politik der PLO und der Hamas aber vornehm als „stupide“  umschreibt.

Bodemann beginnt sein Plädoyer für EHG mit der sensationellen Enthüllung, sie sei „die Tochter eines ehemaligen Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde zu Berlin“. Das ist das Pfund, mit dem sie selbst immer wieder wuchert, ein anderes hat sie nicht. Dass Bodemann ausgerechnet dieses Motiv aufgreift, ist umso seltsamer, weil er die Frage, wessen Sohn er ist, sehr diskret behandelt. Bekannt ist nur, dass er irgendwann zum Judentum übergetreten ist; wie viele Konvertiten hat auch er den Ehrgeiz entwickelt, Platzwart in einem Verein zu werden, dessen Statuten er erst lernen musste.

Natürlich ist es möglich, dass er ein religiöses Erweckungserlebnis hatte, das ihn geradewegs in den Schoß des Judentums führte. Freilich: Zu der Zeit, als Bodemann beschloss, Jude zu werden, hatten Konversionen oft auch einen politischen Charakter. (XXXXXXXXXXXXXXXXXXXXX)

Mit ein wenig Phantasie kann man sich noch eine andere Option vorstellen. Nachdem es den Nazis nicht gelungen war, die Juden auszurotten, empfanden es einige Nachgeborene als eine Herausforderung, das Judentum von innen aufzumischen.

Wie immer Bodemann zum Judentum gekommen ist (oder das Judentum zu ihm), er muss was missverstanden oder im Konversionskurs eine wichtige Lehre verpasst haben. „Du sollst nicht petzen!“

Vor 13 Jahren habe ich für den SPIEGEL ein Buch von Michael Wolffsohn besprochen. Worauf Bodemann einen Brief an Rudolf Augstein schrieb, um ihm mitzuteilen, ich hätte ein Verhältnis mit einer Assistentin von Wolffsohn und wäre deswegen ungeeignet, ein Buch von ihm zu rezensieren.

Was Bodemann in seiner Einfalt nicht wissen konnte: Man konnte es sich mit vielem bei „Rudolf“ verderben, nur nicht mit einer Frauengeschichte. Und so landete der Brief bald bei mir, und ich legte ihn in dem Ordner „Some of my best friends are shmucks“ ab.

Nun hat Bodemann wieder ein Problem mit mir: „... Broder, der ... vom Börne- bis hin zum Hildegard-von-Bingen-Preis mit Ehrungen nachgerade überschüttet wird“. Ja, es geht in der Welt ungerecht zu, vor allem seit einige Restriktionen, die für Ostjuden galten, abgeschafft wurden und Allgäuer Jungs zum Judentum übertreten müssen, um ihrem Leben einen Sinn zu geben.

Bodemann beendet sein Plädoyer für Evelyn Hecht-Galinski mit einem Wort des Rechtsanwalts Joseph Welch an den Senator McCarthy: “Es reicht. Haben Sie denn überhaupt kein Anstandsgefühl, mein Herr? Haben Sie kein Anstandsgefühl mehr?”

Wie tröstlich, dass es heute auch Denunzianten mit Anstand gibt.

 

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