Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

14.12.2008   12:14   +Feedback

Freiheit für die Freiheit!

Weil in der Debatte um das Berliner Zentrum für Antisemitismusforschung schon alles, aber noch nicht von allen gesagt wurde, greift jetzt auch der Chefredakteur der Jüdischen Allgemeinen in die Diskussion ein. “Die Freiheit der Wissenschaft ist ein hohes Gut”, schreibt Christian Böhme, das gelte auch für Fragen, “die auf den ersten Blick unbequem wirken”, es müsse “Wissenschaftlern erlaubt sein, Thesen aufzustellen”.

Damit hat Boehme zweifellos recht, auch wenn seine Wortwahl suggeriert, es werde in manchen Fällen Wissenschaftler verboten, Thesen aufzustellen. Das wäre nun keine These, sondern Thekengeschwätz: Man wird ja noch mal Fragen stellen dürfen!

Deswegen muss man Boehmes Gedanken weiter spinnen. Natürlich ist es Wissenschaftlern erlaubt, Thesen aufzustellen. Es ist aber auch erlaubt, im konkreten Fall die Frage zu stellen, ob ein Wissenschaftler noch alle Tassen im Schrank hat. Eine wertfreie Wissenschaft gibt es ebensowenig wie objektiven Journalismus. Wissenschaft ist immer interessengeleitet, auch dagegen gibt es nichts zu sagen, so lange verschiedene Interessen sich frei artikulieren können. Wäre “Wissenschaft” tatsächlich verobjektivierte Wirklichkeit,  würden wir derzeit nicht auf eine Wirtschaftskrise zusteuern. Weil es aber sogar in einem so handfesten Bereich wie Wirtschaft verschiedene Interessen gibt, gibt es auch so viele “wissenschaftliche” Thesen, wie man sich in der Krise verhalten sollte.

Und das war immer so. Es ist noch nicht lange her, da haben sich Wissenschaftler darüber gestritten, ob die Erde eine Kugel oder eine Scheibe ist und ob die Sonne um die Erde kreist oder umgekehrt. Heute streiten sich Evolutionisten mit Kreativsten darüber, in wie vielen Tagen die Welt erschaffen wurde. Es gab Scharlatane, die als Wissenschaftler verehrt und Wissenschaftler, die als Ketzer verfolgt wurden. Freud, Reich und Kinsey wurden von der Wissenschaft nicht ernst genommen, während Wissenschaftler, die davon überzeugt waren, dass Frauen orgasmusunfähig sind, den Ton angaben. Und erst vor ein paar Wochen stellte ein anerkannter Göttinger Sporthistoriker die These auf, die israelischen Opfer des Olympiamassakers von 1972 hätten sich freiwillig zur Verfügung gestellt, um ihrem Land einen Dienst zu erweisen. Ein Arsch, der Böses dabei denkt und Antisemitismus riecht.

Abstrakt betrachtet, gibt es zwischen den wissenschaftlichen Experimenten von Dr. Mengele und den Versuchen, Stammzellen zu gewinnen, keinen Unterschied. Wissenschaft ist Wissenschaft, mal mit Mäusen, mal mit Menschen. Der Unterschied stellt sich erst im Kontext her. Das gilt auch für die Antisemitismusforschung, eine ohnehin obskure Disziplin, deren Vertreter sich am liebsten mit toten Antisemiten beschäftigen, so wie sich der Kulturbetrieb vorzugsweise mit toten Juden beschäftigt, deren Leistungen bewundert werden, während Juden, die heute leben, bestensfalls mit solidarischen Lippenbekenntnissen und wohlfeilen Bundestags-Resolution rechnen können, die sich auf keinen Fall in der Außenhandelsbilanz niederschlagen dürfen.

Solange Antisemitismusforscher der Frage nachgehen, WARUM Juden verfolgt werden, statt sich zu fragen warum JUDEN verfolgt werden, liefern sie ohnehin nur Alibis für arbeitslose, deklassierte und an sich selbst leidende Antisemiten. Gesinnung, schreibt Christian Böhme, sei “das Gegenteil von freier Wissenschaft”. Auch das stimmt nicht. Wissenschaft ist Gesinnung.

Siehe auch:
Vom Elend der akademischen Antisemitismusforschung
http://studienbibliothek.org/texte/holz.html

Permanenter Link

Achgut  Wissen  

Die Achse des Guten