Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

15.11.2008   10:39   +Feedback

Radical Chic in Berlin -  die Schüler-SA läuft sich warm

Zu der Aktion der Berliner Schüler-SA, die für bessere Bildungschancen demonstrierte, indem sie die Humboldt Universität überfiel und eine Ausstellung im Foyer demolierte, schreibt heute die Neue Zürcher Zeitung:

= Eine Schülerdemonstration in Berlin artet aus, rund 1000 der etwa 5000 friedlich auf dem Bebelplatz für eine bessere Bildungspolitik Demonstrierenden dringen in die Humboldt-Universität ein und zerschlagen dort alles, was ihnen in die Quere kommt. Also nicht nur Feuerlöscher, Türen und Fenster, sondern auch die Exponate einer Ausstellung über das Schicksal jüdischer Unternehmer im Dritten Reich. Wie Teilnehmer berichteten, waren vor allem Punks am Werk.

Das Entsetzen der Classe politique ist gross, vor allem, weil die Chaoten zielbewusst vorgingen und deutlich antisemitische Parolen zu hören waren. Die Veranstalter blieben da weit gelassener - erstaunlich gelassen. Im Internet wurde die Demo als Erfolg gefeiert. Die Zerstörung der Ausstellung wurde bedauert, aber auch relativiert. An den Schulen herrsche ja auch enorme psychische Gewalt, sagte ein Sprecher. Der Vandalismus sei also lediglich «Teil einer langen Reihe von Gewalt».

Der bodenlose Blödsinn zeigt es deutlich: Radikalität ist sexy wie eh und je. Von denen, die «wirklich zupacken», die «wenigstens mal was tun», distanziert sich der spiessige Mainstream eben ungern, heute wie damals. Sind schon tolle Typen, was? In den achtziger Jahren raunten die Kerls in den WG ihren Freundinnen zu, sie kennten übrigens jemanden von der Rote-Armee-Fraktion, echt. Dennoch hat die Sache auch ihr Gutes. Der «Tageszeitung» gab sie Anlass, definitiv den Stab über den Punks zu brechen, die mit ihrem biederen antisozialdemokratischen Impuls und ihrem treuherzigen Glauben an die böse «Autorität» tatsächlich zum Biedermeier-Inventar gehören. Das träfe Fazit: «Die dümmste Jugendkultur».  =

Damit ist eigentlich alles gesagt, was man zu diesem Fall der Wohlstandsverwahrlosung im Gefolge der Machtübernahme der 68er in Kultur, Bildung und Erziehung sagen muss. Es sind wie immer die “gesellschaftlichen Umstände”, die eine “psychische Gewalt” erzeugen, die sich ein Ventil sucht. Die Vandalen können nichts dafür, dass sie sich wie Vandalen benehmen - nachdem sie vor kurzem erst unter Führung derselben Pädagogen gegen den Krieg im Irak demonstriert und “Gewalt ist keine Lösung!” gerufen haben.

Nun ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis sich die ersten Schüler aus Verzweiflung über den Bildungsnotstand beim Kampftrinken zu Tode saufen werden , in der Hoffnung, im Paradies 72 Junglehrer zu finden, die sich ihrer annehmen werden. Denn, wie wir inzwischen wissen, ist Terror auch eine Form des Dialogs bzw. die Antwort auf einen verweigerten Dialog. So bringt die “Amberger Zeitung” die Sache auf den Punkt, wenn sie auf ihrer Kinderseite erklärt “warum am Mittwoch Tausende von Schülern auf die Straße gingen”. Darum: “Die Schüler wollen mit dem Protesten erreichen, dass die Politiker ihnen zuhören und sich für sie einsetzen”; sie meinen u.a., “dass bei uns in vielen Schulen zu viele Schüler in einer Klasse sind. Auch würden oft mehr Lehrer gebraucht. Außerdem gebe es zu viele und zu schwierige Pprüfungen… Viele Jugendliche sagen, sie hätten deshalb viel mehr Stress in der Schule und viel zu wenig Freizeit.”

Was die Schüler so sagen, klingt sehr nach dem Forderungskatalog der GEW: Weinger Stress und mehr Freizeit. Und dafür muss man schon mal den Unterricht ausfallen lassen und kräftig auf die Kacke hauen:

“Ich bin Student an der Humboldt-Universität und seit Jahren aktiv gegen Studiengebühren, Elite-Projekt und und und. Das ist es, was ich erlebt habe:
Auf einer Demonstration für mehr und freie Bildung stürmten sie die Berliner Humboldt-Universität, zerstörten dabei dutzende Bilder von Wissenschaftlern, die in der Galerie hängen, darunter das Bild einer von den Nazis ermordeten Mathematikerin oder das von Albert Schweitzer. Im Gebäude wurden Feuerlöscher ausgelöst und Wände und Boden besprüht. Und - als wäre das nicht schlimm genug - wenige hundert Meter neben dem Platz der Bücherverbrennung wurden diverse Bücher aus den Fenstern und durchs Treppenhaus geworfen. Selbst die Ausstellung zum Gedenken an vertriebene und zerstörte jüdische Unternehmen wurde von einigen Demonstranten teilweise zerstört. Dabei wurde die Ausstellung nicht, wie ich es schon im Internet lesen konnte, zufällig beim Vorbeirennen “angerissen” - als wäre das eine Entschuldigung - sondern einige haben an den Plakaten gerissen, um sie runterzuholen. Um was es ging, war dabei völlig egal. Es ging nur um “action”. Eine wirtschaftswissenschaftliche Tagung - natürlich nicht unbedingt die sympathischsten Leute, die da rumsitzen - wurde gestürmt, Unterlagen und Laptops mitgenommen.” http://de.indymedia.org/2008/11/232468.shtml

Siehe auch:
Ziellose Gewalt? In Berlin halten manche die Randale an der Humboldt-Uni nach einer Schülerdemo für eine gezielte Aktion. Der HU-Präsident warnt vor einer Verharmlosung des Vorfalls, und das LKA ermittelt, ob die Randalierer antisemitische Motive hatten. http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,590491,00.html

 

 

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