Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

19.03.2009   05:36   +Feedback

Around the Mall 7

Gestern ging es bei Seinfeld um die Frage, was am koscheren Essen koscher wäre. “Wenn das Schwein unter der Aufsicht eines Rabbiners geschlachtet wurde”, sagte eine Frau. Das fand ich sehr einleuchtend und unternahm deswegen heute einen Selbstversuch. Beim Lunch mit F. bei “Nathan’s” bestellte ich zuerst einen Teller Clam Chowder und danach einen “100% kosher Hot Dog”. F. guckte ein wenig überrascht, sagte aber nix, weil er einen Reuben Sanwich bestellt hatte, mit Corned Beef und geschmolzenem Käse, was ich nun eine ausgesprochen unkoschere Schweinerei finde. F. hat früher Reden für GWB geschrieben, jetzt regt er sich über Rush Limbaugh und die Hardliner bei den Republikanern auf, die noch immer nicht mitbekommen haben, dass Obama die Wahlen gewonnen hat.

Dach gings mit dem Selbstversuch weiter: zu Fuss von Georgetown über die P-Street zum Dupont Circle und weiter über die M-Street bis zur Vermont Avenue und zurück über die L-Street zur Connecticut. Das “Mayflower” hat die wohl längste Lobby aller Hotels in Washington und die saubersten Toiletten, die sich hevorragend zum Verschnaufen eignen. Dafür stehen in der Bar Männer rum, die so aussehen, als wären sie gerade aus Dortmund oder Wanne-Eickel eingeflogen. Einen Block weiter, bei “Filene’s Basement”, gibt es gute Waren zu Schnäppchenpreisen, z.B. weisse Baumwollhemden (Made in India) für nur 24.99 Dollar. Habe gleich ein halbes Dutzend mitgenommen, könnte ja sein, dass der Preis für Baumwolle an der Rohstoffbörse demnächst rauf geht oder Kinderarbeit in Indien verboten wird.

Von “Filene’s” zu “Kramerbooks” auf der anderen Seite vom Dupont Circle sind es gerade fünf Fußminuten. Eigentlich wollte ich nur schauen, ob die auch “Heeb” führen (http://www.heebmagazine.com/) und blieb an der Kasse stehen. Aber genau damit hatten die offenbar gerechnet und “How to Raise a Jewish Dog” direkt neben die Kasse gelegt. http://www.amazon.com/Raise-Jewish-Rabbis-Theological-Seminary/dp/0316154660 Wer, der ein Herz für Hunde hat, könnte da widerstehen? Ich nicht. Und weil man bei “Kramerbooks” ein grünes T-Shirt bekommt, wenn man für 50.- Dollar einkauft, habe ich noch ein paar Titel dazugelegt, u.a. “She Comes First” von Ian Kerner, Ph.D.

Okay, diesen Teil des Selbstversuchs hatte ich verloren. Ich kam mir vor wie ein rückfälliger Nichtraucher, der nur an einer Cohiba riechen wollte und nun den Rauch in vollen Zügen inhalliert. Jetzt kam es nicht mehr darauf an. Neben “Kramerbooks” gibt es den LambdaRising Shop mit allem, was das schwule bzw. lesbische Herz begehrt, vom Papierdrachen in Regenbogenfarben bis zum schwulen Teddybären. (http://www.lambdarising.com) Und eine Riesenauswahl an Büchern; Gay Guides für London, Barcelona, Mexico City, aber nicht Teheran, Riad, Islamabad; Ratgeber (“My Husband is Gay”), literarische Anthologien (“Chinese Fiction on Love and Sex between Women”), soziologische Analysen (“Gay, Lesbians & Family Values”) und Fun Books (“How to Live with a Huge Penis”). Aber etwas ist nicht da.

“Haben Sie etwas über Homosexualität in der arabischen Welt oder in der islamischen Kultur?” - “Seltsam, Sie sind schon der dritte heute, der danach fragt”, sagte die nette, etwas zu dicke Lesbe hinter der Kasse, “wir haben nur einen Titel, schauen Sie mal”. Es war “Gay Travels in the Muslim World”, eine Sammlung von Reisereportagen, darunter eine mit dem Titel “My Intifada”. Ich schaute mich um und entdeckte auf einem der Büchertische eine wissenschaftliche Abhandlung: “Before Homosexuality in the Arabic-Islamic World, 1500-1800”. Immerhin, damit waren es schon zwei Titel zum Thema. Aber es gab nichts über die Lage der Homosexuellen im Iran und in Afghanistan heute, nichts über “Homophobie” in der islamischen Kultur, nichts über sexuellen Missbrauch von Jungen und Mädchen in Gesellschaften, in denen nicht der Missbrauch sondern dessen Thematisierung ein Tabu ist. Dafür eine Reihe von Büchern wie “Anglicans and Homosexuality” und “Gay Catholic Priests and Clerical Sexual Misconduct”. Klar, in diesen Milieus riskiert man nicht sein Leben bei der Recherche.

Auf dem Rückweg schaute ich noch einmal bei “Kramerbooks” vorbei und fragte, ob sie vielleicht auch das Buch “How to Raise a Muslim Dog” hätten. Die Verkäuferin schaute mich an, als hätte ich ihr Grüße von Osama Bin Laden ausgerichtet und bewegte ihre Lippen, als würde sie sagen: “You must be crazy.”

Man wird ja noch mal fragen dürfen.

Siehe auch:
http://www.transatlantic-forum.org/index.php/archives/2009/5362/homosexualitaet-iran-vormodern/

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