Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

08.05.2009   12:49   +Feedback

“Manche Menschen werden als Außenminister geboren, andere müssen es erst werden”

Die folgende Rede hat Frank-Walter Steinmeier nicht gehalten. Es ist die Rede, die der deutsche Außenminister hätte halten sollen - meint Kollege Erich Follath.  http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,623144,00.html Wäre es so gekommen, hätte Lieberman mit dieser Rede geantwortet:

Sehr geehrter Herr Steinmeier, lieber Kollege,

vielen Dank für Ihre Begrüßungsrede. Glauben Sie mir bitte, ich weiß ein offenes Wort zu schätzen. Auch mir ist eine Grobheit, die vom Herzen kommt, lieber als eine Höflichkeit, die geheuchelt wurde. So habe ich es in meiner alten Heimat Russland gelernt, wo man sich nicht erst betrinken muss, um einander die Wahrheit zu sagen, wie das im Westen üblich ist. Also lassen Sie mich Ihnen mit der gleichen Klarheit antworten.

Sie sagen, Israels Existenzrecht zu bewahren, sei die Staatsräson der Bundesrepublik. Ich habe gehört, es gibt für diese Art von Äußerung in Ihrer Sprache ein eigenes Wort: Lippenbekenntnis. Wenn ich die Nachrichten der letzten Tage richtig verstanden habe, haben Sie mit der Durchsetzung der Staatsräson bereits dann ein Problem, wenn Sie ein gekapertes deutsches Schiff vor der Küste Somalias befreien wollen. Während ein paar deutsche Urlauber in der Lage sind, einen Piratenangriff zurückzuschlagen, erscheint Ihnen der Einsatz einer Spezialtruppe als zu riskant. Wenn wir uns so verhalten würden, würde über dem King David Hotel in Jerusalem längst die Fahne der Hamas wehen, während drinnen der deutsche Botschafter in Palästina Vorträge über die besondere deutsche Verantwortung für das palästinensische Volk halten würde, die aus der deutschen Geschichte resultiert.

Aber lassen wir Geschichte Geschichte sein und reden wir über die Gegenwart. Zur deutschen Staatsräson gehört eine Art der Arbeitsteilung, die uns verwirrt. Während Sie sich „aus historischen Gründen“ mit uns solidarisieren, pflegt ihre Industrie die besten Handelsbeziehungen mit einem Land, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Welt vom Zionismus zu befreien, derweil Ihre Intellektuellen darüber räsonieren, ob der Präsident dieses Landes Israel von der Landkarte ausradieren oder nur aus den Annalen der Geschichte gelöscht sehen möchte, was für Ihre sensiblen Intellektuellen einen entscheidenden Unterschied ausmacht, für uns aber auf das Selbe hinausläuft.

Sie zitieren mich mal halb richtig, mal halb falsch und zwischendurch ist im Zitat Ihre Interpretation enthalten. Auch bei Ihnen wird in der Politik nichts so heiß gegessen, wie es im Wahlkampf angerührt wurde. Haben Ihre Nahostexperten nicht immer wieder gefordert, Israel sollte sich in der Region integrieren? Nun, wir sind dabei es zu tun, indem wir die Rhetorik unser Feinde übernehmen. Wenn ich mich nicht an die Beschlüsse von Annapolis gebunden fühle. so hat das einen guten Grund: Annapolis war eine Show, deren Teilnehmer wussten, dass sie an einer Inszenierung ohne jede praktische Bedeutung teilnahmen. Annapolis war ein Spektakel, sonst nichts. Ich habe mehrfach erklärt, dass wir uns an die Road Map gebunden fühlen, und zu der Road Map gehört auch, dass die Palästinenser ihre Terroranschläge gegen Israel einstellen.

Aber lassen wir solche Details. Sie wollen auf etwas anderes hinaus. Sie suchen nach einem Sündenbock für zukünftige Katastrophen. Und sie haben ihn schon gefunden: Israel. Niemand werde bereit sein, sagen Sie, „eine Verschärfung der Sanktionen gegen Teheran auch nur zu erwägen“, so lange wir uns nicht „zu einer Zweistaaten-Regelung“ mit unseren palästinensischen Nachbarn „bekennen“. Nun, lieber Kollege, seit dem Abkommen von Oslo bzw. Washington haben sich sämtliche Regierungen Israels nicht nur zu einer Zwei-Staaten-Lösung „bekannt“, sondern auch auf dieses Ziel hingearbeitet. Und je mehr uns die Zwei-Staaten-Lösung als eine vernünftige und machbare Option erschien, umso mehr Gefallen fanden die Palästinenser an einer Ein-Staat-Lösung, in der „Israel“ als souveräner jüdischer Staat nicht vorgesehen war.

Ich will Sie nicht wieder mit dem bekannten Argument langweilen, dass unser einseitiger Rückzug aus Gaza nicht zu weniger, sondern zu mehr Terror geführt hat, weil die Hamas nicht die 1967 von Israel „besetzten“ Gebiete, sondern ganz Palästina von der zionistischen Herrschaft befreien will, mit tatkräftiger Unterstützung des iranischen Präsidenten, der Europa und die UN seit Jahren als alte Papiertiger vorführt, die immer nur mit Sanktionen drohen, wobei sie nicht die Sanktionen sondern nur die Drohungen verschärfen. Und nun sollen wir daran schuld sein, wenn es nicht zu einer „Verschärfung der Sanktionen“ gegen den Iran kommt.  Nachdem Europa bis jetzt de facto nichts unternommen hat, wird es demnächst gar nichts unternehmen. Sie mögen das für einen relevanten Unterschied halten, wir sehen das anders.

Ich finde es schön, dass Sie meine „Vergangenheit als Markthändler in der ehemaligen Sowjetunion, als Türsteher an israelischen Diskotheken“ erwähnen. Nun, lieber Kollege, manche Menschen werden als Außenminister geboren, andere müssen es erst werden. Aber legt man nicht gerade in Ihrem Land großen Wert auf Querdenker und Quereinsteiger? Gut, es muss nicht gleich ein gescheiterter Maler sein, der zum Kanzler avanciert, aber ein Markthändler und ein Politiker haben doch viel gemeinsam. Ich bin allerdings noch keinem Politiker begegnet, der in der Lage gewesen wäre, auf einem Markt eine Kiste Tomaten zu verkaufen. Ich will Ihnen nichts unterstellen, aber ich meine, aus Ihren Worten etwas Hochmut gegenüber Markthändlern herauszuhören. Lassen Sie uns noch einmal darüber reden, wenn Sie sich auch in diesem Beruf bewährt haben.

Sie sagen: „An sich sind Rassisten in Berlin nicht willkommen, Fanatiker habe ich immer gemieden.“ Bei mir machen Sie eine Ausnahme, weil Sie sich einen „Lernprozess“ erhoffen. Ich mache es ungern, aber es muss sein: An einer von Ihrem Haus geförderten Tagung in Berlin nahm auch der frühere stellvertretende Außenminister des Iran, Mohammad Larijani, teil, bei dieser Gelegenheit rief er zur Annullierung des “zionistischen Projekts” auf, ohne dass ihm irgendjemand widersprach. Auf der Münchener Sicherheitskonferenz saßen Sie neben dem iranischen Parlamentspräsidenten Ali Larijani, der in Ihrem Beisein erklärte: “Für uns ist es eine Ehre, die Hamas zu unterstützen, weil sie so unterdrückt wird.” Wenn ich einem Bericht von SPIEGEL online vertrauen darf, haben Sie nicht widersprochen, auch nicht als Larijani sagte, es gebe „unterschiedliche Sichtweisen“ auf den Holocaust. Zu einem Vortrag des früheren iranischen Präsidenten Mohammad Khatami in Freiburg reiste Ihr Staatssekretär Gernot Erler an, um den Gast zu begrüßen. Khatamis Haltung zu Israel unterscheidet sich von der des jetzigen Präsidenten nur in marginalen Details. Darf ich Ihre Behauptung „Fanatiker habe ich immer gemieden“ so verstehen, dass Sie absichtlich in Berlin geblieben sind, um Khatamis Hand nicht schütteln zu müssen?

Sie fragen mich: „Was ist denn bloß los in Israel, dass eine ultranationale Partei wie Ihre Israel Beitenu zur drittstärksten Kraft wird, dass sich ein Großteil der Bevölkerung nicht einmal mehr ansatzweise in das Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung hineinversetzen kann? Woher diese Mitleidsmüdigkeit, dieser Zynismus, diese Friedensunfähigkeit…?”

Obwohl es sich vermutlich nur um eine rhetorische Frage handelt, mit der Sie ihre moralische Überlegenheit beweisen wollen, beantworte ich sie gerne: Weil Israel das einzige Land der Welt ist, dessen Existenz seit 60 Jahren Tag für Tag in Frage gestellt wird und weil man von uns Dankbarkeit erwartet, wenn man uns versichert, dass wir ein Recht auf ein Leben in sicheren Grenzen haben, uns aber dafür verurteilt, wenn wir uns gegen Angriffe zur Wehr setzen; weil jede Konzession, auf die wir uns eingelassen haben, unsere Situation nicht verbessert, sondern verschlechtert hat; weil ein Mörder, der u.a. ein Kind mit einem Gewehrkolben erschlagen hat, den wir nicht zu Tode verurteilt haben, nach seiner Freilassung in den Libanon wie ein Held gefeiert wird; weil ein deutscher Professor, der die Opfer des Olympiaanschlages von 1972 verhöhnt, indem er behauptet, die israelischen Sportler wären „freiwillig“ in den Tod gegangen, um der israelischen Sache zu dienen, nur von seiner wissenschaftlichen Freiheit Gebrauch macht und deswegen nicht gemaßregelt werden kann; weil die Hamas mit ihren Gegnern so liebevoll umgeht, dass diese in Israel Zuflucht suchen; weil wir ständig von Leuten belehrt werden, was wir tun und was wir lassen sollten, die ihrerseits mit ein paar randalierenden Autonomen nicht fertig werden; weil man von uns etwas erwartet, das man von keiner anderen Nation erwarten würde, nämlich: unserer Selbstauflösung zuzustimmen, um den Nahostkonflikt nicht eskalieren zu lassen; weil wir als Opfer enorm beliebt sind, als Täter aber mit ganz anderen Maßstäben gemessen werden; weil wir uns anhören müssen, dass in Gaza ein „Holocaust“ stattfindet, während wir unseren Holocaust für politische Zwecke „instrumentalisieren und missbrauchen“. Und jetzt kommen Sie daher und fragen in aller Unschuld, woher unsere „Mitleidsmüdigkeit und Friedensunsfähigkeit“ kommt.

Sie wollten Klartext, Tacheles, reden. Also lassen Sie mich Ihnen sagen, was ich von Ihrem Geraune („Wir im Westen reden hinter geschlossenen Türen mindestens genauso hart mit der arabischen Seite wie mit Ihnen“) halte: Nichts. Wie hart Sie mit der arabischen Seite reden, kann man jederzeit erleben, wenn Sie ein paar Geiseln aus arabischer Gefangenschaft befreien. Es ist noch nicht lange her, da heben Sie, verehrter, erfahrener Herr Kollege, nach dem Ableben einer deutschen Geisel erklärt, der Mann sei nicht eines gewaltsamen Todes gestorben, sondern den „Strapazen der Geiselhaft“ erlegen. Dass nenn ich hart aber fair!

Verraten Sie uns doch mal, worüber Sie mit der arabischen Seite hinter geschlossenen Türen reden. Vom Ergebnis der Gespräche her zu urteilen, könnte man vermuten, dass Sie sich eher übers Golfen als über Geopolitik unterhalten. „Teherans jahrelanges Tricksen, Tarnen und Täuschen in der Atomfrage“, sagen Sie, mache Sie „skeptisch“.  Dann bitten Sie doch Ihren Freund und Förderer Schröder, er möge bei seinem nächsten privaten Besuch in Teheran nachfragen, was das Tricksen, Tarnen und Täuschen soll. Warum aber sollen wir uns in einem „Trial And Error“-Versuch auf ein Risiko einlassen, dessen Folgen wir tragen müssten, während Sie, lieber Kollege, im Berliner Außenamt oder im Kanzleramt sitzen und wieder einen „Grand Bargain“, eine neue „Gesamtregelung für die Region“ fordern, ohne zu wissen, „ob mit den iranischen Hardlinern ein Deal möglich sein wird“. Wir können dabei unseren Kopf verlieren, Sie nur Ihren jeweiligen Hut.

Und nun gehen wir hinaus und sagen der Presse, die auf uns wartet, was wir vereinbart haben. Dass Sie mit der Hamas und der Hisbollah über eine Anerkennung Israels verhandeln werden, während wir den Schutz deutscher Schiffe im Golf von Aden übernehmen. Wer zuerst mit seiner Aufgabe fertig ist, gibt eine Runde Falafel aus.

Yallah, Habibi!

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