Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

06.05.2009   16:54   +Feedback

Einer geht noch, einer geht noch raus!

Die Mitteilung war ziemlich kryptisch, nicht ganz fehlerfrei - aber eindeutig. Christian Sedlmair gab seinen Verzicht bekannt:

“Ich erhielt heute sehr negative Nachricht in privater Sache erhalten und habe meinen Rücktritt von der Kandidatur für das Direktmandat dem Landesvorstand der bayerischen LINKEN und den Kreisvorsitzenden in meinem Wahlkreis mitgeteilt. Sie bedauern diesen Schritt sehr, aber ich kann aus den privaten und familiären Gründen, die ich angesprochen habe und auf die ich nicht näher eingehen kann nicht garantieren, den für einen ländlichen Wahlkreis in Bayern notwendigen Einsatz bis zum Wahltag garantieren.”

Wer immer in den Kulissen der LINKEN die Notbremse gezogen und den sprachmächtigen Kandidaten zurückgepfiffen hatte, er tat es der Partei zuliebe. Wie Chris Sedlmair überhaupt so weit kommen konnte, bleibt freilich eine Frage, die man mit der dünnen Personaldecke der LINKEN allein nicht erklären kann.

Der ehemalige Direktkandidat der LINKEN für die Wahl zum Bundestag im Wahlkreis 216 (Fürstenfeldbruck und Dachau) ist erst 31 Jahre alt, hat noch nicht viel erreicht, aber schon viel unternommen. Chris Sedlmair („Die Konsequente Stimme gegen Sozialraub, Kriegspolitik und Entmachtung des Volkes!“) war von 1994 bis 1998 Mitglied der SPD, davon ein Jahr lang Schriftführer der Jusos im Unterbezirk Dachau, 1998 trat er der DKP und der PDS bei und brachte es nacheinander zum Sprecher der Basisorganisation Dachau & Fürstenfeldbruck, Mitglied des Kreisvorstandes München, Landessprecher der Kommunistischen Plattform der PDS Bayern und Mitglied im Bundeskoordinierungsrat der Kommunistischen Plattform der PDS. Sowohl 1998 wie 2002 machte er als Kandidat der PDS bei den Bundestagswahlen mit, verfehlte aber den Einzug ins Parlament.

2008 trat er in DIE LINKE ein. Dazwischen und daneben war er Mitglied der SDAJ, der Gewerkschaft ver.di, der FDJ und im Anti-Kriegs-Komitee München; als Mitbegründer des deutschen Solidaritätskomittees “Freier Irak” und Betreiber des Internetprojektes “Iraq News Network” solidarisierte er sich mit dem „irakischen Widerstand“.
Wesentlich kürzer fällt dagegen die Liste seiner „beruflichen Tätigkeiten“ aus, als da wären: Ein Jahr lang Arbeiter im Paketdienst (Leiharbeit), ein weiteres Jahr Arbeiter in einem Zulieferbetrieb für Motorräder und vier Jahre „Verkäufer im kleinen elterlichen Familienbetrieb“. Die im ganzen sechsjährige berufliche Tätigkeit hat ihn freilich für eine ganze Reihe „politischer Schwerpunkte“ qualifiziert: „Internationale Politik & Antiimperialismus, Anti-Kriegs-Arbeit, Soziales, Irak-Solidarität, Palästina-Solidarität, Landwirtschaft und ländlicher Raum.“

Wobei vor allem Sedlmairs Forderung nach einem „bedingungslosen Grundeinkommen für alle!“ vor dem Hintergrund seiner eigenen Biografie durchaus einen Sinn ergibt. Wer politisch dermaßen hyperaktiv ist, rund um die Uhr den Imperialismus bekämpft und Anti-Kriegs-Arbeit leistet, der hat einfach keine Zeit, sich um einen Lebensunterhalt zu kümmern. Als „Die Konsequente Stimme gegen Sozialraub, Kriegspolitik und Entmachtung des Volkes!“ hat er einen Anspruch darauf, vom Volk alimentiert zu werden.

Dass er nicht zum Arbeiten kommt, kommt vor allem daher, dass er immerzu kommunizieren und allen Leuten erzählen muss, wie beschäftigt er ist, was er alles macht bzw. machen möchte. Er tut das auf Facebook, Myspace, den Lokalisten und anderen Community-Outlets. Im Fernsehen schaut er sich am liebsten “Star Trek” an, zu seinen Lieblingsbüchern gehört das Manifest der Kommunistischen Partei, teilt er seinen Freunden auf Myspace mit. Dort findet er es auch “bewundernswert, wenn ein Präsident in der finsternsten Stunde für sein Volk kämpft und auch in der Gefangenschaft dem Feind bis zu seiner Ermordung trotzt. Sowas kann man von einem westlichen Staatsoberhaupt niemals erwarten.”  Bei den “Lokalisten” tritt er unter dem Nom de guerre “Thaelmann” auf und gibt Auskunft über seine Hobbies, Wünsche und Vorlieben.

“wen will ich mal treffen: George W. Bush - und zwar zwischen die Augen
was ich hasse: Nazis, Zionisten und anderes Faschistengesindel
5 dinge, die ich in meinem leben noch machen möchte: Außer Revolution in Deutschland? Folgende Länder bereien: Venezuela, Cuba, Rußland, Belarus, Syrien, Irak, ein befreites und einheitliches arabische Palästina zwischen Meer und Jordan, Libyen, und schaun was noch.”

Sedlmairs Agenda reicht wesentlich weiter als der Blick vom 50 Meter hohen Turm der Dachauer Gnadenkirche. Chris Sedlmaier begrüßt die Besucher seiner Homepage mit einem fröhlichen „As-Salamu Alaykum“ (Friede sei mit Dir!) und dem moslemischen Glaubens-bekenntnis: „Aschhadu an laa ilaha illa’Llah wa aschhadu anna Muhammadan rasulu’Llah!“ („Ich bezeuge, daß es keinen Gott außer dem (einzigen) Gott gibt, und ich bezeuge, daß Mohammad der Gesandte Gottes ist.“).
Und dann wird es militant. „Um zu verhindern, daß in Deutschland im großen Stil Moscheen brennen braucht es ein klares Bekenntnis zur Zugehörigkeit des Islam zu Deutschland. Reine Lippenbekenntnisse und Moscheebau reichen hier nicht aus. Auch die Kriminalisierung von Organisationen wie Hamas und Hiz’b’Allah in der EU muß beendet werden.“

Wäre der ehemalige Bundestagskandidat der LINKEN im Wahlkreis 216 Dachau-Fürstenfeldbruck nur ein gläubiger Moslem, wäre das insofern bemerkenswert, als es für die Liberalität in der bayerischen Provinz sprechen würde. Aber Sedlmair ist mehr: ein praktizierender Islamist, der aus seiner Überzegung ehrlicherweise kein Hehl macht.
Er ruft zur „Solidarität mit dem irakischen Freiheitskampf“ und lobt die PDS Saarland, die als einziger Landesverband den „Mut“ gehabt hat, „dem irakischen Volk im Einklang mit dem Völkerrecht das Recht auf Widerstand gegen Besatzung nicht nur einzuräumen, sondern dies offensiv zu unterstützen“ - indem sie die Aktion “10 Euro für den Irakischen Widerstand” unterstützt hat.

Was der Friedensfreund und Antiimperialist für sich behält: Mit dem Reinerlös der Aktion wurden nicht Kindergärten und Krankenhäuser im Irak sondern die Attentate der „Märtyrer“ unterstützt, die vor allem Opfer unter der Zivilbevölkerung forderten. Eine „zentrale Aufgabe für LINKE Außenpolitik“ sieht der Islamist aus Dachau darin, das „Regime in Deutschland“ daran zu hindern, „das rassistische Siedlerregime Israel mit High-Tech-Bewaffnung und politischer Parteinahme in Internationalen Gremine und Organisationen“ zu unterstützen. Geht es freilich um den Irak, gelten andere Regeln.

Auf einer youtube-Seite, die Sedlmaier verlinkt („Stalinator 1945“), findet sich auch ein Video mit dem Titel: „Saddam? Missing you“. Diese Spur versucht Sedlmaier inzwischen zu verwischen, irgendjemand muss ihm diese Seite unterschoben haben. Wozu er freilich nach wie vor steht, ist ein Leserbrief an die Internet-Kampfschrift „scharf links“, in dem er den Vorsitzenden der Linken, Lafontaine,  für seine Standfestigkeit lobt: „Oskar wurde noch nicht auf zionistischen Jubelparaden gesehen.“ Lafontaine seinerseits hat sich bis jetzt von diesem Kompliment nicht distanziert.

Der milieubedingte antisemitische Antizionismus des Dachauer Ex-Kandidaten verbündet sich mit einem Antiamerikanismus, von dem sich die LINKE inzwischen eigentlich verabschiedet hat. Er nennt die USA das „Vierte Reich“ und schiebt gleich zwei Superlative nach: „Das grausamste und mörderischste Imperium seit Hitler…“
So dreht der gelernte Antiimperialist am Rad der Geschichte und mit jeder Drehung provoziert er die Frage, ob das Rad noch alle Speichen hat.  Seine Parteifreunde in Dachau, die ihn für den Bundestag aufgestellt haben, haben freilich keine Zweifel an der politischen Zurechnungsfähigkeit ihres Kandidaten.

Anders die Genossen in der Berliner Parteizentrale. Fraktionschef Bodo Ramelow erklärte umgehend, er gehe “der Sache bereits nach“,  während Parteichef Gregor Gysi sich erstmal nicht festlegen wollte.  „Ich wurde diesbezüglich bereits informiert und habe mich an die beiden Landesvorsitzenden gewandt“  verlautbarte er auf eine Presseanfrage; die Anfrage eines Bürgers beschied etwas anders: „Allerdings wies mich Chris Sedlmaier bereits darauf hin, dass gegen ihn eine Kampagne laufe und er absichtsvoll missverstanden werde.“

Keine 48 Stunden später hatte der bayerische “Stalinator” aufgegeben. Und nun wird es höchstens weitere 48 Stunden dauern, bis seine Freunde herausfinden werden, dass ein anständiger deutscher Antiamerikaner, Antizionist und Arbeitsverweigerer von der Israel-Lobby gemeuchelt wurde.

Siehe auch:
http://planethop.blogspot.com/2009/05/baath-simpson-tritt-zuruck-christian.html

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