Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

13.08.2009   07:35   +Feedback

Nasenbären und andere Experten

Erstaunliche Dinge passieren derzeit in der Bundesrepublik, zur selben Zeit und doch Lichtjahre voneinander entfernt.
Bundesinnenminister Schäuble hat letzte Woche die Berufung eines zehnköpfigen Expertengremiums zur Bekämpfung von Antisemitismus bekannt gegeben; es soll in regelmäßigen Abständen einen Bericht über antisemitische Tendenzen in der Gesellschaft erarbeiten und Empfehlungen zu dessen Bekämpfung geben. Dem Rat der Weisen gehören die üblichen Verdächtigen an, Akademiker und Praktiker, die bis jetzt schon hauptamtlich gegen Vorurteile und Ressentiments ankämpfen. Wären ihre Bemühungen von Erfolg gekrönt, müsste keine neue Stelle ins Leben gerufen werden, um die bisherige Arbeit zu optimieren. Allerdings: In einem Land, in dem noch vor kurzem ein Gesetz die Frage regelte, wer als Jude, Halbjude oder Vierteljude zu gelten hat, gehen die Ansichten darüber, was Antisemitismus ist und wer ein Antisemit sein könnte, sehr weit auseinander. Daran wird auch das neue Gremium nichts ändern, im Gegenteil. Eine der nominierten Expertinnen hat bereits erklärt, vor welchem Phänomen sie die Augen verschließen wird: es gehe vor allem darum, „Judenfeindlichkeit nicht zum Problem muslimischer Mitbürger zu machen“. So wird der Begriff „Antisemitismus“ entsorgt und zugleich eine seiner Quellen für koscher erklärt. Die größte Gefahr, so die Expertin, gehe „immer noch von Rechtsextremen aus“.
Im Klartext: Wer ein Hakenkreuz an eine Synagogenmauer schmiert, ist ein gefährlicher Antisemit; wer bei einer Demo „Zionisten raus aus Palästina!“ brüllt, nur ein harmloser Hisbollah-Anhänger, der es mit den Juden gut meint.
Aber selbst wenn es tatsächlich nur um Juden geht und die Täter eindeutig der rechtsextremen Szene angehören, reagieren die zuständigen Behörden mit dem Eifer bekiffter Nasenbären. Nachdem auf der Homepage der NPD dem früheren Vizepräsidenten des Zentralrates der Juden in Deutschland, Friedman, Schläge angedroht wurden („... hau ich Friedman eine rein!“), wurde ein Ermittlungs-verfahren wegen einer möglichen Aufforderung zu Straftaten eröffnet und sehr bald wieder eingestellt. Als Begründung gab eine Sprecherin der zuständigen Staatsanwaltschaft an,  der Text sei „umfassend geprüft“ worden; wenn man die fragliche Zeile im Kontext des restlichen Liedes verstehe, so könne man sie „nicht völlig eindeutig“ als Aufforderung zur Gewaltausübung gegen Friedman persönlich verstehen. Und: Das Lied habe „nicht eindeutig genug strafrechtlich relevanten Inhalt, als dass wir wirklich ein förmliches Verfahren einleiten könnten“.
Nicht nur juristische Laien sind außerstande, eine solche Begründung nachzuvollziehen. Es wird wohl zu den Aufgaben des neu berufenen Expertengremiums gehören, solche Entscheidungen der Öffentlichkeit zu erklären und die delikate Frage zu beantworten, wo die Antisemiten sitzen: in der NPD oder bei der Staatsanwaltschaft.
Vermutlich aus einem akuten Mangel an anderen würdigen Kandidaten hat der Bundespräsident ein Bundesverdienstkreuz Erster Klasse an eine in Deutschland lebende ehemalige israelische Anwältin verliehen, deren Tätigkeit seit fast 20 Jahren im Wesentlichen darin besteht, Israel als einen Apartheidstaat zu verleumden, der sich im Umgang mit den Palästinensern der gleichen Methoden bedient, derer sich die Nazis im Umgang mit den Juden bedient haben. Auch der Staatssekretär, der das Verdienstkreuz überreichte, räsonierte über „völkerrechtswidrige Deportationen und sippenhaftähnliche Bestrafungen“ der Palästinenser durch die Israelis.
Die Ehrung war im vielfachen Sinne eine Besonderheit. Zum einen gehörte die „für ihr humanitäres Lebenswerk“ ausgezeichnete Anwältin bis 1990 dem ZK der israelischen KP an, zum anderen hatte sie im Rahmen ihrer antizionistisch-antisemitischen Aktivitäten u.a. auch das Vorwort für das Buch eines Politikers verfasst, den sowohl die Grünen wie die FDP wegen seiner antijüdischen Reflexe vor die Tür gesetzt hatten. Den eigentlichen Grund der Ehrung freilich plauderte der Tübinger Oberbürgermeister, ein Freund der Geehrten, aus: Jemand, der aus Israel kommt, habe „das Recht sich so zu äußern“. Er „als Deutscher“ würde „niemals solche Formulierungen“ wählen.
Ein Fall für das Expertengremium: Wie die einen den Antisemitismus outsourcen und die anderen dafür ehren, dass sie die Drecksarbeit erledigen.

Erschienen in DIE WELTWOCHE Nr. 33/09

 

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