Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

16.07.2009   15:52   +Feedback

Extremisten und Opportunisten

Am 1. Juli dieses Jahres fand in Dresden ein Prozess wegen Beleidigung statt. Vor Gericht stand ein 28 Jahre alter «Russland-Deutscher», der eine 32-jährige Ägypterin als «Islamistin» und «Terroristin» beschimpft hatte, nachdem sie ihn aufgefordert hatte, eine Spielplatzschaukel für ihren Sohn freizugeben. Im Prozess trat die Frau als Zeugin auf. Plötzlich und unerwartet zog der Angeklagte ein Messer und stach achtzehnmal auf die Zeugin ein. Der Einzige, der versuchte, der Frau zu Hilfe zu kommen, war ihr Mann; er wurde dabei versehentlich von einem Polizisten angeschossen, der ihn für den Angreifer hielt.

Die Ägypterin, im dritten Monat schwanger, ist tot, ihr Mann liegt schwer verletzt im Krankenhaus, der Täter sitzt im Gefängnis; ihm soll Ende des Jahres der Prozess gemacht werden. Man kann hoffen, dass er wegen Mordes angeklagt und zu «lebenslänglich» verurteilt wird, was in der Praxis fünfzehn Jahre bedeutet.

Die Spuren der Bluttat waren noch nicht beseitigt, da beschwerten sich schon muslimische Verbände der Bundesrepublik über die «zurückhaltenden Reaktionen» der Bundesregierung; dabei hatte ein Regierungssprecher die «abscheuliche Tat, die uns alle bestürzt und betroffen gemacht hat», auf «das Schärfste verurteilt» und versichert, in Deutschland gebe es keinen Platz für Ausländer- und Fremdenfeindlichkeit und auch nicht für «Islamophobie». Dem Koordinierungsrat der Muslime in Deutschland war das nicht genug: «Die Politik muss endlich die Islamophobie in unserem Land ernst nehmen», hiess es in einer in Köln veröffentlichten Erklärung.

Dreitausend Kilometer südöstlich von Köln, in Alexandria, hatten Tausende von Ägyptern bei einer Trauerfeier für die «Märtyrerin» Vergeltung gefordert und gerufen: «Es gibt keinen Gott ausser Gott, und die Deutschen sind die Feinde Gottes.» Das iranische Aussenministerium forderte die Mitgliedsländer der islamischen Konferenz auf, einen Ausschuss zu bilden, um solche Vorfälle zu untersuchen und eine Wiederholung zu vermeiden.

«Ein Mord an einem sicher geglaubten Ort wie einem Gerichtssaal und in Gegenwart von Polizeibeamten zeigt den täglich wachsenden Hass gegenüber Immigranten und religiösen Minderheiten in Deutschland.»

Das Berliner Aussenamt unternahm nicht einmal den Versuch, die Anschuldigung zurückzuweisen und sich jede Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Bundesrepublik zu verbieten, wie es die Iraner routinemässig tun, wenn deren Behandlung religiöser Minderheiten, wie zum Beispiel der Bahai, kritisiert wird. Stattdessen kündigte Kanzlerin Merkel an, sie werde sich am Rande des G-8-Treffens in der italienischen Stadt LAquila mit Hosni Mubarak treffen, was sie tatsächlich getan hat, um dem ägyptischen Präsidenten ihr Beileid auszusprechen. Derweil hiess es in Kairo, man werde einen Staatsanwalt nach Deutschland schicken, um bei der Untersuchung des Falles zu helfen.

Bei der Trauerfeier in Dresden sagte der ägyptische Botschafter, die junge Mutter sei ein Opfer von blindem Hass und Fanatismus geworden; der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering meinte, Rechtsextremisten und Rassisten dürften keine Chance mehr haben, sich in Parteien zu organisieren, womit er auf das von der SPD immer wieder geforderte und nie durchgesetzte Verbot der NPD anspielte.

Und während in Teheran Demonstranten das Tor zur deutschen Botschaft mit einem Hakenkreuz beschmierten und dabei «Tod für Deutschland und das rassistische Europa!» riefen, erklärte die SPD-Islambeauftragte Lale Akgün, es gebe noch «viele Vorurteile gegen den Islam», es müsse «sehr viel Aufklärungsarbeit» geleistet und dafür gesorgt werden, dass «der Islam auch als eine Weltreligion in ihrer Gesamtheit wahrgenommen wird».

So kochte jeder sein Süppchen, und keiner traute sich, den Satz zu sagen, der nach jedem «Ehrenmord» gesagt wird: dass man nicht eine Gruppe oder ein Volk unter «Generalverdacht» stellen dürfe. Und wie es der gemeine Zufall wollte, geschah fast gleichzeitig mit dem Dresdner Mord in Hamburg eine ähnliche Tat. Ein 23 Jahre alter Hamburger wurde in der Wandelhalle des Hauptbahnhofs durch einen Messerstich tödlich verletzt. Der Täter entkam unerkannt und stellte sich später den Behörden. Es war, so der Polizeibericht, «ein 19-jähriger Deutscher türkischer Abstammung». Weder die Kanzlerin noch der türkische Ministerpräsident bezogen zu dem Vorfall Stellung.


Erschienen in der Weltwoche Ausgabe 29/09

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