Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

08.07.2009   14:16   +Feedback

Unter Menschen 8

Wir stehen vor der Heineken-Arena und wollen unsere Karten für das Konzert der Dave Matthews Band holen. Es gibt nichts, das ich mehr hassen würde, als in einer Schlange zu stehen, von delirierenden Rentnern und undichten Hausfrauen mal abgesehen. Rita geht es genauso. “Geh doch nach vorne und sag, dass Deine Mutter im Lager war”, sagt sie. “Ich hab eine bessere Idee: Geh Du nach vorne und sag, dass deine Vorfahren Sklaven waren.” Dann überlegen wir, obs andersrum nicht besser wäre: Ritas Vorfahren waren im Lager, was ja irgendwie auch stimmt, und meine waren Sklaven, was ganz sicher stimmt, zumindest während der Pessach-Woche. So verkürzen wir uns die Wartezeit, bis uns eine Hostess in die Loge bringt. Wir drei schrauben das Durchschnittsalter der Besucher gewaltig in die Höhe, deswegen haben wir Ton mitgenommen, der es wieder zu Fall bringt.

Rita und Fred sind aus den USA eingeflogen, Ton kommt aus Aerdenhout. Er wurde 1970 geboren. Worauf Fred einfällt, was wir in diesem Jahr gemacht haben. Wir sind beide über die Buchmesse gelaufen und haben “Steckbriefe” verteilt, auf denen zur Suche nach Klaus Harpprecht aufgerufen wurde. Der hatte in einer Rezension eines Buches von Fernando Arrabal, das von Joseph Melzer verlegt wurde, sinngemäß geschrieben, Melzer würde das alte Vorurteil,  Juden und Pornografie gehörten zusammen , wiederbeleben, so was wäre unverantwortlich. Wir dagegen fanden es unverantwortlich, was Happrecht anstellte und schrieben ihn zur Fahndung aus. Während wir unsere Steckbriefe überall hinklebten, wo ein Platz frei war, lief uns Happrechts Ehefrau Renate hinterher und riss sie wieder ab.

Es waren wilde Zeiten. Der Filmemacher Hellmuth Costard wurde wegen Verbreitung unzüchtiger Schriften in Form eines Kurzfilms angeklagt und schließlich freigesprochen. (http://de.wikipedia.org/wiki/Besonders_wertvoll) Josefine Mutzenbacher, bei Rogner&Bernhard neu erschienen, wurde als “jugendgefährdend” indiziert. Gegen Melzer wurde ein Ermittlungsverfahren eröffnet, Arrabals Buch von den Behörden beschlagnahmt. Und in den Feuilletons kam es zu einer Debatte, ob Melzer ein pornografisches Ferkel oder Harpprecht ein antisemitischer Döddel wäre. http://www.zeit.de/1970/35/Arrabal-und-die-Folgen?page=all

Vierzig Jahre später sitzen wir in der Loge der Heineken-Arena und warten auf den Auftritt der Dave Matthews Band. Fred, Rita, Ton und ich, eingehüllt in eine Wolke aus süßlichem Duft libanesischen Ursprungs. Das ist das Schöne an Holland, man muss nicht selber kiffen, um high zu werden. Und es riecht viel besser als 1970 auf der Buchmesse in Frankfurt.

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