Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

02.07.2009   19:47   +Feedback

Wehleidigkeit ist ein Meister aus Deutschland

Kennen Sie den? Eine Gruppe amerikanischer Touristen besichtigt die Moskauer Metro. Der russische Fremdenführer sagt, es handle sich um die älteste aber auch modernste U-Bahn der Welt, absolut sicher und zuverlässig, nirgendwo auf der Welt würden mehr Passagiere pro Stunde befördert, sogar die Luft in den Stationen sei besser als auf der Straße. Die Amerikaner hören geduldig zu, schließlich hebt einer die Hand und fragt: „Und wieso ist seit über einer halben Stunde kein Zug gekommen?“ – Darauf der Fremdenführer: „Und warum werden in den USA die Neger verfolgt?“

Der Witz ist uralt, aber noch immer aktuell. Er spielt nicht mehr in der Moskauer U-Bahn, sondern in den Unterständen der deutschen Friedensbewegung, die in der Bonner Republik von der DDR ferngesteuert wurde und die inzwischen auf eigene Rechnung einen Opportunismus praktiziert, der zum Himmel stinkt. Auch die Pointe hat sich nicht verändert.

Der außenpolitische Sprecher der Fraktion DIE LINKE (früher PDS, noch früher SED), Norman Paech, hielt am 17. Juni im Bundestag eine Rede zum Ausgang der Wahlen im Iran. Dabei sagte er, „wahrscheinlich“ sei es zu „Unregelmäßigkeiten bis hin zu massivem Wahlbetrug gekommen“, warnte aber davor, das Ergebnis in Frage zu stellen. Schon einmal, im Jahre 2005,  habe Ahmadinedschad eine Wahl mit Zweidrittelmehrheit gewonnen. Bei dieser Gelegenheit wies Paech, ganz im Stil der Moskauer Metro-Experten, darauf hin, man solle nicht „die US-Präsidentschaftswahlen des Jahres 2000 vergessen, bei denen es zu massiven Unregelmäßigkeiten in Florida gekommen ist, die nie ganz aufgeklärt wurden…“ Und im Jahre 2006, so Paech weiter, habe es „freie und faire Wahlen“ in Palästina gegeben, deren Ergebnis „den großen Mächten“ nicht gefiel. „Wo war da die demokratische Empörung im Parlament?“

Paech schloss seine Rede mit einer Metapher und einer Empfehlung:
„Zweifellos… geht der Iran mit einer neuen Epoche, vielleicht mit einer neuen Etappe seiner Revolution schwanger. Diese auszutragen, ist aber allein Sache des iranischen Volkes.“

Wäre Norman Paech ein Mediziner, müsste er sich wegen unterlassener Hilfeleistung verantworten. Als Politiker freilich kann er es sich leisten, Partei für ein Regime zu ergreifen, das sein eigenes Volk als Geisel genommen hat.

Während Paech noch relativ schnell reagierte, brauchte der „Bundesausschuss Friedensratschlag“, der die Aktivitäten der Friedensinitiativen koordiniert, zwei Wochen, um sich eine Meinung zu bilden. Am 27.6. war es endlich soweit. In einer Erklärung zu den „Protesten und Unruhen im Iran“ hiess es: „Die Friedens- und Menschenrechtsbewegung hierzulande sollte sich nicht zum Richter über die Akteure im gegenwärtigen Machtkampf im Iran aufschwingen. Genauso wenig sollte sie sich auf die Seite irgendeiner Partei stellen.“

Bei so viel Äquidistanz zu den „Akteuren“ im Iran lag es nahe, Angela Merkel Scheinheiligkeit vorzuwerfen. Hatte die Kanzlerin doch „die Menschenrechtsverletzungen im Iran anprangert und das Regime aufgefordert, friedliche Demonstrationen zuzulassen“, kurz zuvor allerdings „beim NATO-Gipfel in Strasbourg/Kehl mit keinem Wort gegen die massive Behinderung der Anti-NATO-Proteste Einspruch erhoben“. Im Grunde müssten die Iraner dankbar sein, dass sie von Ahmadinedschad und nicht von Merkel regiert werden, denn: „Die sozialen Bewegungen in Deutschland können wahrlich ein Lied singen über Einschränkungen ihres Demonstrationsrechts sowie über den schleichenden Ausbau des Überwachungsstaates.“

Wehleidigkeit war schon immer ein Meister aus Deutschland und der Wunsch, überwacht und unterdrückt zu werden, das einfachste Mittel der Selbstüberschätzung. Die „sozialen Bewegungen in Deutschland“, deren erfolgreichste die NSDAP war, hatten es schon immer schrecklich schwer, heute würde jeder Gen-Mais-Gegner mit einem iranischen Oppositionellen tauschen, der im Teheraner Evin-Gefängnis mit Naturkost gefüttert wird. Denn der Iran ist eine lupenreine Demokratie, versichert uns das Zentralorgan der deutschen Friedensbewegung, die Tageszeitung „junge Welt“. Der Beweis: Im Iran wurden seit 1980 „mehr Präsidenten gewählt“ als in jedem anderen Land der Welt: Sechs, in den USA dagegen nur fünf.

Übrigens: Seit 1999 gibt es auch in Teheran eine U-Bahn. Sie soll die modernste der Welt sein.
C: Weltwoche, 2.7.09

 

Permanenter Link

Achgut  Inland  

Die Achse des Guten