Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

24.06.2009   01:58   +Feedback

Unter Menschen

Seit ich aus Solidarität mit den werktätigen Massen nur noch öffentliche Verkehrsmittel benutze, brauche ich für jede Strecke die dreifache Zeit, lerne dafür die Stadt aus anderen Perspektiven kennen. Und wenn man sich nicht auf das Fahren konzentrieren muss, wird der Blick frei für die Sensationen des Alltags.
Die junge Frau, die neben mir auf den Bus wartet, hat sich ein Eis gekauft. Der Bus kommt, die Tür geht auf, die junge Frau fragt den Fahrer: “Darf ich mit dem Eis rein?” An sich dürfte sie nicht, denn der Konsum von Lebensmittel ist in den Verkehrsmitteln der BVB nicht erlaubt. Der Fahrer, ein echter Berliner, macht nur eine Kopfbewegung. Rin mit Dir! Ein schöner Fall von informeller Kommunikation. Die junge Frau erkennt das Hausrecht des Fahrers an, der revanchiert sich, indem er es nicht durchsetzt. Die junge Frau übrigens sah nicht nur gut aus, sie hatte eindeutig einen Migrationshintergrund.

Das alte Cafe Adler am Checkpoint Charly, wo wir zu DDR-Zeiten saßen und auf die Mauer schauten, ist jetzt eine Filiale der Cafe-Einstein-Kette. Von der alten Einrichtung sind nur die Decken übriggeblieben. Und die Kandelaber. Der Rest ist modern und cool. Und wo ich schon mal weit im Osten bin, nehme ich die U1 und fahre noch weiter in den Osten, zum Görlitzer Bahnhof. Anders als in den Bussen, scheint das Verbot, Lebensmittel zu konsumieren, in der U-Bahn nicht zu gelten. Oder es gibt eine Regelung, welche die Mitnahme alkoholischer Getränke ausdrücklich zulässt. Denn beinah jeder Fahrgast unter 25 hält sich an einer Dose bzw. Flasche Bier fest. Die gehört zum Outfit wie die Nasenringe und die Tatoos am Hals. Die einzigen an diesem Sonntag, die propper angezogen sind und sich ordentlich benehmen, sind die türkischen Familien. Keine Nasenringe, keine Tatoos, kein Bier bei Fuß. Das ist der Kampf der Kulturen. Hier die akkulturierten Migranten, dort das versiffte Lumpenproletariat. Kein Wunder, dass es mit der Integration nicht klappt. Die Türken wollen sich weder piercen noch tätowieren lassen. Und saufen tun sie auch nicht.
Mit der U2 zurück in den Westen. Die Kinder vom Bahnhof Zoo sind immer noch da und warten, dass sie von Kai Hermann entdeckt werden. Oder wenigstens von einem Streetworker von RTL2.

Permanenter Link

Achgut  Inland  

Die Achse des Guten