Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

20.06.2009   00:16   +Feedback

King David & Me 2

Wer am Freitagabend bei “Benny ha-Dayag” (Benny, der Fischer) im alten Hafen von Tel Aviv essen will, tut gut daran, einen Tisch vier Wochen vorher zu bestellen. Ich versuche es auf die Tour, mit der ich zuletzt zwei Karten für ein ausverkauftes Konzert mit Zubin Mehta bekommen habe. “Guten Tag, ich hätte gerne einen Tisch für vier Delegierte der Elders of Zion.” - “Ich setze Sie gerne auf die Warteliste für den 10. Juli.” - “Wir wollen nicht auf die Warteliste, wir wollen an einen Tisch, und zwar heute abend”, sage ich und mache dabei den Tonfall von Marlon Brando im “Paten” nach. “Dann machen Sie es sich zu Hause gemütlich”, sagt der Mann bei Benny und legt auf.
Noah schaut zu und grinst. “Lass mich machen.” Er ruft bei Benny dem Fischer an, sagt seinen Namen und eine Stunde später sitzen wir zu viert an einem Tisch direkt am Kai. Halb Tel Aviv defiliert und an uns vorbei, hier zeigt sich der Zionismus von seiner schönsten Seite, nirgendwo im Nahen Osten sind die Röcke kürzer und die Tops enger.
Noah hat einen SPIEGEL mitgebracht und will mich für einen Text über Obamas Europa-Reise zur Verantwortung ziehen. Da heisst es, die Alliierten seien 1944 in der Normandie gelandet, “um Deutschland von Hitler zu befreien”. Ich setze einen kritischen Blick auf. “Und? Sie haben’s doch getan, oder?” - “Sie sind nicht in der Normandie gelandet, um Deutschland von Hitler zu befreien, sondern um Europa von den Deutschen zu befreien”, ruft Noah, “das ist ein großer Unterschied!”
Noah hat Recht. 1927 in Strassburg geboren, hat er “die beste Universität der Welt” (Auschwitz) besucht und überlebt und kam als junger Hagana-Kämpfer mit der “Exodus” nach Palästina, um mit Hilfe der Briten wieder nach Europa zurückgeschickt zu werden. Inzwischen 82, geht er immer noch jeden Tag in sein Büro bei den “Yediot”, Israels größter Zeitung, und schreibt Reportagen, Kommentare und Analysen. Ein freundlicher, kluger und witziger älterer Herr mit einem phänomenalen Gedächtnis.
Mitten in den Vorspeisen fängt er plötzlich an, den Wiener Kabarettisten Fritz Grünbaum zu rezitieren. “Auf Erden sind nicht alle Engel/hier steht ein Jud, dort sitzt ein Bengel.” Dann erzählt er von Monowitz (Auschwitz 3), wo er Zwangsarbeit für die IG Farben leisten musste - zusammen mit Heinz Galinski. “Der war ein anständiger Junge.” Kurz vor dem Hauptgang kommen wir auf Avrum Burg. “Der hat sich hier vollkommen ins Aus manövriert”, sagt Noah, “sein Vater rotiert im Grab, wenn er mitbekommt, was aus seinem Sohn geworden ist”. Ich erzähle von meiner letzten Begegnung mit Avrum in der Georgetown University, wo er an einem Panel mit Alan Dershowitz teilnahm. Auf der Bühne hatte er eine Kippa an, als ich ihn später bei “Barnes & Noble” wieder traf, hatte er sie abgenommen.
“Typisch Avrum”, sagt Noah, “der dreht sich schneller, als der Wind wehen kann”. Dann will Noah wissen, ob Felicja Langer noch in Deutschland lebt. “Noah”, sage ich, “bitte nicht vor dem Essen!”
Zwei Stunden später haben wir Unmengen von Salaten und Fisch verputzt und alle Leute durchgekaut, die wir ganz besonders mögen. Im Herbst will Noah wieder nach Deutschland kommen, um für die “Yediot” vom Demjanjuk-Prozess zu berichten. “Noah, warum tust Du Dir das an?” - “Ich muss. Wir sind aus Auschwitz befreit worden, aber von Auschwitz wird uns nur der Tod befreien.”

Siehe auch:
http://www.hagalil.com/archiv/2009/06/17/neue-deutsche/

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