Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

15.12.2009   11:52   +Feedback

Wenn der Wahnsinn epidemisch wird…

Der wohl größte bayerische Dichter nach Carl Valentin und noch vor Herbert Achternbusch war Oskar Panizza, promovierter Mediziner und von 1882 bis 1884 Arzt an der oberbayerischen Kreis-Irrenanstalt in München. Panizza war nicht nur Arzt und Schriftsteller, er war auch irre, ein Boarderliner würde man heute sagen. Er funktionierte normal, schwebte aber über dem Boden der Realität wie ein Zauberkünstler, der der Schwerkraft trotzt. Dabei machte er Beobachtungen, die er in wunderbar knappe Formeln packte. Zum Beispiel: „Der Wahnsinn, wenn er epidemisch wird, heißt Vernunft.“

Beim letzten Großereignis dieses Jahres, dem Klima-Gipfel von Kopenhagen, breitete sich der Wahnsinn epidemisch aus. 15 000 Delegierte reisten aus fast 200 Ländern an, um die Erde, die wir uns bekanntlich nur zinslos von unseren Kindern geliehen haben, vor dem Untergang zu retten. Wer unternehmerisch aktiv ist, weiß, wie schwer es ist, einem Vorstand oder einem Aufsichtsrat, in dem nur zehn Vertreter sitzen, eine Entscheidung abzupressen. Verglichen mit der Konferenz der?15 000 war der Marsch durch das rote Meer ein Betriebsausflug an die Ostsee, der Bau der Pyramiden eine PR-Aktion der Leonberger Bausparkasse. Der Klimagipfel war eine Kundgebung von der Art, wie sie früher im Ostblock üblich war, wenn die Regierung das Volk zusammenrief, um sich von den Massen feiern zu lassen. Die Massen ihrerseits wussten, dass sie nur als Staffage für die Regierung dienten, freuten sich trotzdem über die Abwechslung und den arbeitsfreien Tag, sie wussten, wenn es etwas zu beschließen oder zu entscheiden gab, dann war alles längst hinter den Kulissen ausgekaspert.

Falls die Teilnehmer des Kopenhagener Klimagipfels tatsächlich der Erde etwas Gutes tun wollten, dann wären sie besser zu hause geblieben und hätten sich über Skype unterhalten. Die Konferenz der Klimaschützer hat einen wesentlichen Beitrag zur Klimabelastung geliefert. Für den Transport der VIPs unter den Teilnehmern innerhalb von Kopenhagen wurden über 1000 Limousinen angemietet, von denen die meisten aus dem Ausland herangeschafft werden mussten. Die Top-VIPs unter den VIPs kamen mit 140 Privatjets angeflogen, für die es am Kopenhagener Flughafen nicht genug Abstellplätze gab und die zum Parken irgendwo hingeflogen werden mussten. Das alles war möglicherweise für die Teilnehmer preiswert, aber auf keinen fall umsonst. Nach Schätzungen der Veranstalter, die kein Interesse haben, ihre eigene Arbeit madig zu machen, wurde durch die Teilnehmer der Weltklimakonferenz das Äquivalent von 41.000 Tonnen CO2 freigesetzt, so viel wie ein Land von der Größe und Kapazität Marokkos pro Jahr produziert. Aber es war ja für die gute Sache.

Dass die ganze Vorstellung ausgerechnet in Kopenhagen stattfand, der Stadt von Hans Christian Andersen, dem wir unter anderem das Märchen von des Kaisers neuen Kleidern verdanken, verlieh dem Spektakel eine ironische Note. Denn möglicherweise war die Kopenhagener Klimakonferenz, ebenso wie die vielen Konferenzen, die ihr vorausgingen und die ihr folgen werden, nur eine politisch korrekte Version des Shakespearschen Klassikers „Much Ado About Nothing“ – viel Lärm um nichts.

Zwar sind die meisten Menschen nicht in der Lage, zwischen Wetter und Klima zu unterscheiden, aber dennoch oder gerade deswegen davon überzeugt, dass sich das Klima ändert – schneller als ein Eisbär von Eisscholle zu Eisscholle schwimmen kann. Noch 1975 froren sie sich beim Urlaub am Timmendorfer Strand den Arsch ab und stellten zusammen mit Rudi Carrell die Frage: „Wann wird’s mal wieder richtig Sommer?“ Keine 35 Jahre später nölen sie wieder rum, diesmal weil sie noch im Spätherbst im Freien sitzen konnten, ohne sich dabei den Arsch abzufrieren.

Auch der vergangene November war ausgesprochen mild, was sich einerseits günstig auf die Arbeitslosenstatistik und die Heizölpreise auswirkte, die Menschen aber gleichzeitig mit tiefer sorge erfüllte, ob ihre Häuschen bei Merzenich in der Eifel nicht schon im kommenden November in lauwarmen Meeresfluten versinken könnten, weil ja die Polkappen abschmelzen und der dadurch steigende Meeresspiegel die Inselstaaten Tuvalu und Kiribati im Pazifik, einige Flugstunden nördlich bzw. nordöstlich von Neuseeland, bedroht. Die gebildeten Stände wussten natürlich schon vor dem Klimagipfel, wo Tuvalu und Kiribati liegen. Ich dagegen wurde erst durch die Berichterstattung über Kopenhagen auf diese beiden Objekte des Völkerrechts und des Klimawandels aufmerksam. Bei dieser Gelegenheit fiel mir auch auf, wie viele deutsche Reporter sich plötzlich in Tuvalu und Kiribati aufhielten, um den Daheimgebliebenen die Botschaft um die Ohren zu hauen: “Wenn Tuvalu untergeht, geht auch Tappenbeck unter, wenn Kiribati evakuiert werden muss, dann hat auch Kotzenbüll keine Zukunft.”

Wir erleben derzeit eine Epidemie des Wahnsinns, der sich als Vernunft geriert. Mit Zahlen belegt, wissenschaftlich untermauert und von der Überzeugung beseelt, dass die Apokalypse vor der Tür steht. Anders aber als die Endzeitverkünder früherer Epochen, die dem Weltende freudig entgegenfieberten, bieten moderne Apokalyptiker mit den Horror-Szenarien auch ein paar gebührenpflichtige Auswege an.

Es sei nicht fünf, sondern drei vor zwölf, sagt der neue Umweltminister Norbert Röttgen. „Wenn wir so weitermachen wie bisher, wäre ein Leben auf unserem Planeten, wie wir es bisher kennen, nicht mehr möglich.“ Und: „Gletscher schmelzen, und ganze Inseln werden im Ozean verschwinden. Auf der anderen Seite wird es Wüstenbildung, Dürreperioden und schlimme Flüchtlingsdramen geben.“

Deswegen kämpft der deutsche Umweltminister mit aller Kraft dafür, dass sich die Völker der Welt auf der Kopenhagener Klimakonferenz darauf verständigen, den Anstieg der Erderwärmung auf zwei Grad zu begrenzen. Alles darüber würde die Erde unbewohnbar wie den Mond und, noch schlimmer, den Umweltminister überflüssig machen.
Es zeugt von maßloser Selbstüberhebung, wenn Politiker, die nicht einmal wissen, wie sich die Anhebung der Mehrwertsteuer um zwei Prozent auf die Wirtschaft auswirkt, den Anstieg der Erderwärmung auf zwei Grad begrenzen wollen. Als nächstes werden sie sich vornehmen, die Erde etwas schneller rotieren zu lassen, damit die Sonne zweimal am Tag aufgehen kann. Den Rhein bergauf fließen zu lassen, wäre auch eine extrem Erfolg versprechende Idee.

Grundlage all dieser Pläne und Maßnahmen sind zwei Unterstellungen: Dass es auf der Erde immer wärmer wird und dass die Erderwärmung „man made“ ist, also von Menschen verursacht, die viel zu viel produzieren, viel zu viel konsumieren und viel zu wenig Rücksicht auf die Natur nehmen. Wir sehen täglich die Bilder dahin schmelzender Gletscher und übersehen dabei, dass vor 1000 Jahren, also gestern Abend, Grönland eine grüne Insel war, im Rheinland Feigen und in England Trauben zur Weinherstellung angebaut wurden. Sieht so die Klimakatastrophe aus, der wir entgegeneilen?

Das Zauberwort, mit dem der Wahnsinn sich epidemisch verbreitet, heißt CO2, Kohlendioxid. Eine Substanz, die überall in der Natur vorkommt. Wenn alle miteinander die Luft anhalten und nicht atmen, leisten wir einen Beitrag zur Rettung der Welt. Und wenn wir jetzt auch noch die über eine Milliarde Kühe weltweit dazu bringen, kurz die Verdauung einzustellen, könnte auch der Methangasausstoß erheblich zurückgeschraubt werden. Methan ist etwa 20mal schädlicher als CO2.

Solche Milchmädchenrechnungen bekommen sie in diesen Tagen überall aufgetischt. Die RTL-Nachrichten zum Beispiel zeigten kürzlich in einem Beitrag, was „jeder von uns“ tun könnte und sollte, damit weniger CO2 produziert wird, zum Beispiel die Treppe nehmen, statt den Aufzug zu benutzen. Die Frage, die sich dabei stellt, ist: Wer ist hier dümmer: Die Redakteure, die solche Ratschläge in die Welt setzen, oder die Leute, die sie glauben?

Das anthropogene, also von Menschen verursachte CO2, macht 1 bis 3 Prozent des gesamten freigesetzten CO2 auf der Erde aus. Wir könnten also den Flugverkehr komplett einstellen, alle Autos, Rolltreppen und Aufzüge still legen, auf den gebrauch von Bügeleisen, Waffeleisen und Schuhputzautomaten verzichten – und hätten noch immer 97 bis 99 Prozent CO2 in der Atmosphäre.

In den Mikrokosmos unseres Alltags übertragen, würde das heißen: Man geht essen, bestellt zwei bis drei kalorienreiche Vorspeisen, dann ein Zwischengericht, schließlich den Hauptgang, Haxe mit Rotkohl und Klößen. Das Ganze rundet eine Portion Kaiserschmarrn und ein Stück Herrentorte ab. Zum Kaffee gibt es ein paar Trüffel-Pralines. Sodbrennen setzt ein. Und man denkt: Die Pralines, die hätten nicht sein müssen.

„Der Wahnsinn, wenn er epidemisch wird, heißt Vernunft“. Es ist nicht der erste Ausbruch der Epidemie, aber nach dem Waldsterben, dem Ozonloch und Tschernobyl bis jetzt der nachhaltigste. Eine solche Bereitschaft, sich einer Massenhysterie hinzugeben, hat es seit der Kuba-Krise 1962 nicht mehr gegeben. Inzwischen werden sogar Energiesparbirnen für Weihnachtsbäume und Krippen angeboten. Was für ein glück, dass Maria und Joseph keine Ahnung von CO2 hatten, als sie sich auf den Weg machten und nur dem Stern von Bethlehem folgten, sonst wären sie in Nazareth geblieben und wir hätten heute nichts zu feiern.

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