Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

24.11.2009   20:25   +Feedback

Leben mit und ohne Stau

Die Fahrt von Pune nach Mumbai dauert etwa drei Stunden. Eine Stunde, um aus Pune rauszukommen, eine Stunde für die Fahrt übers Land, eine Stunde, um nach Mumbai reinzukommen. Man fährt über eine Passtrasse, zuerst rauf und dann runter. Eine Bergrallye in den Pyrenäen ist dagegen eine Übung für Rollstuhlfahrer. Die Strasse ist extrem kurvig und eng, die Fahrer lassen es krachen. Janjeev hat seine eigene Technik. Statt zu bremsen, wenn ein Laster vor ihm auftaucht, gibt er Gas, fährt dicht auf, hupt und schaltet das Fernlicht an; etwa einen halben Meter vor dem feindlichen Objekt zieht er nach links oder rechts rüber, genau in die Lücke zwischen dem Laster vor ihm und dem Laster hinter ihm.

Ich sage „Matka boska czestochowska“ und schwöre, dass ich an das Grab des Rabbi von Bratzlav pilgern werde, wenn ich diese Fahrt überlebe. Janjeev macht sich eine Zigarette an und steuert mit den Knien.

Mumbai um Mitternacht ist so, wie Dante sich die Hölle vorgesellt hat. Nach amtlichen Angaben sollen 15 Millionen in der Stadt leben, es müssen dreimal so viele sein. Tausende von Taxis und Motorrikschas machen sich die Strasse streitig, Menschen campieren unter Brücken, kaputte Lastwagen stehen quer auf der Fahrbahn. Ich frage mich, wie es die Attentäter vom 26.11.2008 geschafft haben, in diesem Chaos an ihre Einsatzorte zu kommen.

Dann endlich das erste erlösende Zeichen: Mumbai International Airport. Es ist, als würde ein Schild bei Duisburg sagen: nach Dortmund rechts abbiegen. Der Verkehr wird immer dichter, die Luft immer stickiger. Wenn die Grünen einen ihrer Parteitage hier abhalten würden, würde es sogar Claudia Roth die Stimme verschlagen.

An der Zufahrtstrasse zum Flughafen geht dann nichts immer. Der Verkehr wird von drei Spuren auf eine verengt. Bevor wir das Nadelöhr erreichen, schleichen wir an großen Schildern vorbei: „Save Energy!“ Janjeev nimmt die Aufforderung wörtlich. Er stellt den Motor ab, steigt aus und macht die Motorhaube auf. In aller Ruhe wechselt er eine Sicherung aus und füllt Wasser in den Kühler nach. Mich wundert nichts mehr. Nicht einmal, dass rechts und links Taxen an uns vorbei rollen, die von den Passagieren geschoben werden, während die Fahrer sich an das Lenkrad klammern.

Die letzten 300 Meter sind die schlimmsten, ein Kampf aller gegen alle, so muss es damals zugegangen sein, als die Plätze für die Arche Noah vergeben wurden.

Endlich am LH-Schalter angekommen, lasse ich mich upgraden und gehe in die Business-Lounge. Diesen kleinen Luxus habe ich mir hart erarbeitet. Neben mir sitzt ein älterer Inder. Er kommt mir irgendwie bekannt vor. „Gestern abend, auf dem Dachgarten im Hotel O“, sagt er und erzählt mir dann, dass er sieben Stunden unterwegs war, weil sein Fahrer sich in Mumbai verfahren hatte. Da habe ich ja noch mal Glück gehabt.

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