Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

19.11.2009   15:31   +Feedback

Alte Kameraden

In diesen Tagen kommt der neue Film des auf Katastrophen und Untergänge spezialisierten Regisseurs Roland Emmerich in die Kinos. «2012» greift eine Vorhersage der Maya auf, wonach die Welt am 21. Dezember 2012, also in drei Jahren, zu existieren aufhört. Laut Emmerichs Co-Autor, Harald Kloser, soll es der ultimative Katastrophenfilm werden, einer, «nach dem es eigentlich keine weiteren Katastrophenfilme mehr geben» kann.

Das klingt vielversprechend, und falls Sie schon mal einen Film von Emmerich gesehen haben, wissen Sie, was Sie erwartet: eine digitale Gruselpartie, die freilich nach 158 Minuten vorbei ist.
Wenn Sie sich allerdings wirklich und nachhaltig gruseln wollen, wenn Sie nach einer Geschichte suchen, die Ihnen nachts den Schlaf raubt und Sie tagsüber in einen Alptraum versetzt, dann besorgen Sie sich das eben erschienene Buch «Die Deutschen und der Iran» des Hamburger Politologen Matthias Küntzel. Und lassen Sie sich von dem ruhigen Titel nicht täuschen, das Buch ist aufregend und spannend, von der ersten bis zur letzten Seite.

Küntzel beschreibt «Geschichte und Gegenwart einer verhängnisvollen Freundschaft» zwischen Deutschland und dem Iran (beziehungsweise Persien), von der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts über die Weimarer Republik und das Dritte Reich bis heute. Man könnte von einer Liebesaffäre zwischen zwei extrem ungleichen Partnern sprechen, die alle Kriege, Krisen und Kalamitäten überstanden hat.

Ob in Deutschland der Kaiser regierte, ein Gefreiter aus Österreich oder ein Sozialdemokrat, die deutsch-iranische Freundschaft stand nie zur Disposition, völlig unabhängig davon, wer in Teheran das Sagen hatte der Schah, eine durch Wahlen legitimierte Regierung oder eine Bande von Klerikern, die sich an die Macht geputscht hatte.

Schon Adolf Hitler, schreibt Küntzel, «wurde, solange er Kriege gewann, als der ‹Zwölfte Imam›, als schiitischer Messias, verehrt». Später pflegte man erst einen «kritischen», dann einen «konstruktiven Dialog», immer mit dem Ziel, die deutsch-iranische Freundschaft über alle Zeitläufe zu bewahren. «Wenn es etwas gibt, was jene hundertjährige Tradition auszeichnet», sagt Küntzel, dann war es die Unterdrückung von Menschenrechten und Demokratie, «mal im Iran, mal in Deutschland, mal in beiden Ländern zur gleichen Zeit». Hinzu kam: Man hatte gemeinsame Feinde, gegen die man sich wehren musste, früher Russland, heute die USA. Inzwischen ist Deutschland Teil eines europäischen Schutzschilds, der «sich zwischen den Iran und Amerika stellt – nicht um die USA vor den Islamisten, sondern um die Islamisten vor den USA zu schützen».

Durchgesetzt wird diese Strategie mit einer Politik der Arbeitsteilung. Während die Kanzlerin erklärt, man könne einen Iran, der nach Atomwaffen strebe, nicht gewähren lassen, sorgt die deutsche Politik mit Hilfe der deutschen Wirtschaft dafür, dass der Iran in die Lage versetzt wird, seine nuklearen Fantasien zu verwirklichen. Diese Heuchelei ist kein Privileg der Konservativen. Im Jahre 2000 wurden von der grünen Böll-Stiftung siebzehn iranische «Persönlichkeiten aus Politik, Wissenschaft, Religion und Medien» zu einer Konferenz nach Berlin eingeladen, um über «die Reformdynamik in der islamischen Republik» zu diskutieren. Zurück im Iran, wurden die Teilnehmer der Konferenz festgenommen und vor ein Revolutionsgericht gestellt – weil sie angeblich die Sicherheit des Iran gefährdet und gegen Allah gekämpft hatten. Zehn der siebzehn Angeklagten wurden «zu schockierend hohen Strafen» verurteilt, so bekamen zwei iranische Dolmetscher zehn beziehungsweise neun Jahre. Dennoch hielt sich der damalige grüne Aussenminister Fischer mit Kritik an den Urteilen zurück, um die Beziehungen zum Iran nicht zu gefährden. Man könnte auch sagen: Die Grünen haben ihre Gäste der Staatsräson geopfert.

Für eine solche Politik des Appeasements können wirtschaftliche Gründe allein nicht entscheidend sein. Die deutsche Wirtschaft macht zwar Milliardengeschäfte mit dem Iran, aber die machen nicht einmal ein Prozent der deutschen Exporte aus. Was ist es dann? Die «sichtbare Gegenwart der deutsch-iranischen Beziehungen», so Küntzel, «wird durch deren unsichtbare Vergangenheit geprägt».

Man könnte auch sagen: Alte Liebe rostet nicht.

C: Weltwoche, 19.11.09

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